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Sahlas Schule

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Von: Anetta Kahane

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Frauen werden weder angemacht noch verachtet, lautete eine von Sahlas Regeln. (Symbolbild)
Frauen werden weder angemacht noch verachtet, lautete eine von Sahlas Regeln. (Symbolbild) © Rolf Vennenbernd/dpa

Mein Freund aus dem Irak wird mir fehlen. Wir verstanden uns wortlos, stritten beherzt und lernten voneinander.

Salah Azis war mein Seelenfreund. Wir beide haben uns wortlos verstanden, selbst wenn wir dabei sprachen. Er war für mich Familie, Freund, Nachbar und Komplize. Er war vor drei Jahrzehnten vor Saddam Hussein aus dem Irak geflohen.

Nach seiner Flucht konnte er nicht anders, als überpünktlich zu sein, denn als er einmal in Damaskus nur zehn Minuten zu spät kam, hatten Saddams Mörder seinen Bruder verschleppt, bestialisch gefoltert und schließlich der Mutter in Stücken vor die Tür geschmissen. Keiner seiner Brüder überlebte, nur Salah überstand die Folter und landete irgendwann in Berlin.

Er war Dadaist, Trotzkist, Dichter, Regisseur und wusste, dass Diktatoren wie Saddam oder Baschar al-Assad korrupte und brutale Killer sind. Er hasste sie, er hasste auch die deutsche Verlogenheit, in solchen Figuren auch nur ansatzweise Partner zu sehen. Er hasste die Mullahs im Iran, die europäische Zurückhaltung ihnen gegenüber. Und Salah hasste genauso den Ruf nach Frieden an der Seite des russischen Präsidenten Wladimir Putins. Denn er wusste ganz genau, was das bedeutet.

Wir beide haben oft stundenlang vor seinem Falafelladen in Berlin-Mitte gesessen und Leute angeschaut. Salah war ein wunderbarer Mensch, großzügig und warmherzig. Er erzählte selten von der Folter im Irak und Syrien. Er war auch ein Wüterich, traumatisiert und voller Zorn.

Ich liebte seine unbändige Lebensfreude genau wie seine Traurigkeit. Ich liebte ihn dafür, dass er auf die Nazis losgegangen ist, als die mich auf der Straße bedroht haben. Und für jedes einzelne Gespräch mit und ohne Worte. Er hat mir eine Welt geschenkt.

Jeder seiner arabischen Beschäftigten musste durch die harte Schule von Salahs Werten: Frauen werden weder angemacht noch verachtet, jeder ist willkommen ob schwul oder Israeli, Hunde werden nicht getreten und Religion hat Privatsache zu sein. Und um sicherzugehen, dass hard-core Religiöse fernbleiben, hat Salah sein exzellentes Schawarma in Bier eingelegt. Und wenn verwöhnte Deutsche ihm mit antiwestlichen Sprüchen kamen verdrehte er die Augen. Bei seiner Beerdigung gab es ein Vater-Unser, ein Kaddisch und eine Sure. Er liegt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Die gute Nachricht ist, dass ich aus sicherer Quelle weiß, was da nachts los ist. Meine Mutter spielt Karten mit Herbert Marcuse, Bertold Brecht sitzt auf der Mauer und Fritz Teufel versucht sie anzupinkeln.

Ich weiß, dass er hier Spaß haben wird. Mit René Greatz, einem Maler aus der DDR, wird er den Mädels hinterherschauen, so wie wir beide das immer gemacht haben und mit dem fabelhaften George Tabori wird Salah ein Stück inszenieren.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel will das Bühnenbild bauen und Lin Jaldati die jüdische Sängerin wird Kinderlieder aus dem Ghetto auf arabisch singen. Und, da bin ich ganz sicher, wird Salah derjenige sein, der Anna Seghers endlich zum Lachen bringen kann.

Salah Aziz wird mir fehlen. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, einander wortlos zu verstehen, selbst beim Sprechen und Streiten, das können nur Seelenfreude. Ich sehe ihn schon, wie er in einem seiner schönen Kaftane oder ganz nackt, wie in unserer Sommerfrische mit der Famile, über das Gelände des Friedhofs läuft. Er wird dabei Paul Celans „Todesfuge“ rezitieren. Denn sie sagt, was wir für alle Zeit wissen müssen, um die Welt zu verstehen.

Anetta Kahane ist Senior Consultant der Amadeu-Antonio-Stiftung.

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