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Russland im Ukraine-Krieg: Der Kern des Putinismus

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Von: Klaus Staeck

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Russischer Machthaber Putin: Warum haben wir trotz aller Warnzeichen in diesen acht Jahren die aufziehende Gefahr einer drohenden Vernichtung der Ukraine nicht sehen können?
Russischer Machthaber Putin. Warum haben wir trotz aller Warnzeichen in diesen acht Jahren die aufziehende Gefahr einer drohenden Vernichtung der Ukraine nicht sehen können? © Mikhail Metzel/Kremlin Pool

Die totalitäre Diktatur in Russland ruht auf Imperialismus, Führerkult und einer Verachtung für die Freiheit. Die Kolumne.

Wenige Tage nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim hatte ich Ende März 2014 zwei ukrainische Autoren und Aktivisten der Bürgerbewegung in die Akademie der Künste nach Berlin eingeladen, um von ihnen aus erster Hand zu erfahren, wie sie nach den erfolgreichen Protesten auf dem Maidan ihre Revolution gegen alle Widerstände sichern werden.

Zerhij Zhadan und Jurko Prochasko zählen auch heute noch zu den unermüdlichen Verteidigern einer Bewegung, die einen mühsamen Kampf in zwei Richtungen zu führen hatte – in der Ukraine gegen die alten, meist korrupten Eliten und Oligarchen, die sich einen Machtverlust nicht vorstellen konnten, und hinter der damals schon unsicheren Grenze gegen eine russische Übermacht.

Russland und der Ukraine-Krieg: Warnende Worte aus Zeiten der Krim-Annexion

Wladimir Putin hatte gerade mit nationalistischem Pomp Russland die Krim einverleibt. Und es begann mit der Unterstützung der Separatisten im Donbass, was nun, acht Jahre später, im großen Krieg den vorläufigen grauenhaften Höhepunkt fand.

Betrachte ich die Aufzeichnung von damals, so finde ich schon die warnenden Signale: „Putin wird weiterhin versuchen, das Land zu destabilisieren, die Revolution zu diskreditieren, uns alles zu nehmen, was möglich ist“, sagte der Germanist und Psychoanalytiker Prochasko aus Lwiw. Westeuropa warf er schon damals vor, es sei zu wenig präsent gewesen, habe zu wenig getan beim aktiven Aufbau der Zivilgesellschaft.

Ukraine-Krieg: Autor bezeichnet Putinismus als totalitäre Diktatur

Zur Solidaritätsveranstaltung mit der Ukraine auf dem Berliner Bebelplatz, jetzt Anfang März nach dem Kriegsbeginn, war Jurko Prochasko aus seiner Heimatstadt zugeschaltet. Im wehrpflichtigen Alter konnte und wollte er nicht mehr ausreisen. Mit deutlichen Worten nannte er die Ideologie des Aggressors, der eine eigenständige ukrainische Nation negiert, „Großraschismus“, eine Kombination aus Großrussentum und Faschismus.

Der Putinismus habe sich zur totalitären Diktatur entwickelt. Im Kern setze er sich zusammen aus: chauvinistischem Imperialismus, völkischem Mystizismus, messianischem Größenwahn, religiös getöntem Revanchismus, apokalyptischem und militaristischem menschen- und lebensverachtendem Macht- und Führerkult, tiefster Verachtung für Recht, Freiheit und Selbstbestimmung.

Ukraine-Krieg: Russische Politik der vergangenen Jahre sendete deutliche Signale

Noch in Jahrzehnten wird man sich auf Prochaskos präzise Charakteristik der aggressiven Moskauer Politik berufen können, wenn Putin längst seinen Platz an der Kremlmauer eingenommen hat. Warum haben wir trotz aller Warnzeichen in diesen acht Jahren die aufziehende Gefahr einer drohenden Vernichtung der Ukraine nicht sehen können?

Oder hatten wir – und ich meine auch mich selbst – noch nicht begriffen, dass sich unsere Koordinaten für die Friedenspolitik mit Russland zu verschieben begannen? Dabei sollten wir gewarnt gewesen sein, nach der brutalen Zerstörung Grosnys, der militärischen Aktion in Georgien, der Krim-Annexion und der Verletzung ukrainischer Souveränität durch die Unterstützung von Separatisten. All das hat offenbar nie einen Schatten geworfen auf die florierenden wirtschaftlichen Kontakte und vor allem auf die einseitige Energieabhängigkeit, die sich heute als Fehlentscheidung erwiesen hat.

So fallen jetzt selbstgerechte Moderatoren über Politiker her, um ihnen mit oft maßlosem Moralanspruch den sofortigen Totalausstieg aus der Gasversorgung oder die Hoheit über den ukrainischen Luftraum abzuverlangen. Über den unausweichlichen Industriekollaps oder eine finale Eskalation des Krieges bis zum Atomschlag reden wir dann später. Den Medienmachern werden die Themen schon nicht ausgehen. (Klaus Staeck)

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