Nicht ermüden

Es passiert so vieles gleichzeitig, was manche überfordert, die sich kümmern wollen. Die Kolumne.
Rassismus in Deutschland ist kein Randphänomen. Das ist nicht überraschend. Was aber erschüttert ist, dass die Mehrheit der Befragten der Auftaktstudie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors sich dessen bewusst ist und trotzdem abwertenden Aussagen zustimmt und bei Kritik auf Abwehr geht.
Dieses Ergebnis erklärt den Widerstand den Diskriminierungserfahrene immer wieder erleben. Gleichzeitig zeigen sich Ermüdungserscheinungen, wenn es „schon wieder“ darum geht. Es gibt so vieles, um das man sich kümmern muss, heißt es oft. Wie jetzt den Ukraine-Krieg etwa.
Politisch und gefühlsmäßig ist das richtig, doch überlappen sich auch dort die Erfahrungen der Ungleichbehandlung. Mit Blick auf die aus der Ukraine geflüchteten Menschen je nach ihrem Status in Deutschland oder die Tatsache, dass Europa viel für die Flüchtenden von dort tut, aber Frontex sich gleichzeitig an illegalen Pushbacks an den Außengrenzen beteiligt.
Gleichzeitig ist das Wort der Stunde. Es passiert so vieles gleichzeitig, was manche überfordert, die sich kümmern wollen. Gleichzeitig kümmert sich etwa der Verein Sputnik um russischsprachige Familien mit behinderten Kindern in Deutschland.
Er tut das seit Jahren und russischsprachig bezieht sich auf Menschen aus 28 Ländern und Republiken, verschiedene Hintergründe und Religionen. Also eine heterogene Gemeinschaft, die hierzulande bisher meist auf sich gestellt war, zu der nun mehr Menschen aus der Ukraine hinzukommen. Sie benötigen barrierefreie Hilfe und eine bedarfsgerechte Unterbringung. Hier zeigt sich, wie sehr Menschen in ihren Positionen in überschneidender Hinsicht verletzlich sein können.
Über diese komplexen Erfahrungen zu sprechen, scheint vor allem für diejenigen ermüdend, die nicht betroffen sind. Distanz erleichtert es, Probleme zu denen der anderen zu machen und Dinge zwar schlimm oder bedauerlich zu finden, aber keinen Bezug oder Verbindung herzustellen, obwohl wir alle für unser Miteinander verantwortlich sind.
Wir alle wurden mit Abwertungsmustern sozialisiert, die wirken. Das erklärt zum Beispiel, warum kürzlich drei FDP-Kommunalpolitiker aus dem hessischen Tann dachten, behinderte Menschen zum Touristenschreck im Kurort erklären zu können. In einem Flugblatt äußerten sie die Sorge, dass Urlauber:innen durch das Verhalten der Bewohner:innen eines Diakonie-Heimes rund um den Marktplatz vergrault werden würden. Das nennt sich Ableismus und ist nur eines von vielen Beispielen.
Diskriminierung ist also immer da in vielerlei Form. So kommt es, dass Solidaritäten unterschiedlich erfahren werden. Mehr Gleichberechtigung zu erlangen, braucht mehr Kontextwissen. Außerdem muss man sich kontinuierlich damit auseinandersetzen, um die Details wahrzunehmen. Es bedarf Empathie.
In Diversität zu leben, heißt, sich Verletzlichkeiten zu widmen, weil Abwertung in unser Gesellschaft tiefgehende Gründe und Geschichte hat. Dass sie sich im Kontext von Behindertenfeindlichkeit beispielsweise in den Euthanasie-Morden des Nationalsozialismus widerspiegelt.
Am 28. April, ein Jahr nach der Ermordung vier behinderter Menschen durch eine Pflegehelferin in einer Potsdamer Wohneinrichtung veröffentlichte ein journalistisches und wissenschaftliches Rechercheteam unter #AbleismusTötet die Ergebnisse einer Dokumentation an Gewaltfällen in vollstationären Wohneinrichtungen.
Erschütternd ist dabei nicht nur die Anzahl der Gewalt, sondern auch deren Formen. Das Team setzt einen Impuls, fordert mehr Sichtbarkeit und Schutz für behinderte Menschen. Von Ermüdung bei ihnen keine Spur.
Hadija Haruna-Oelker arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin.