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Kolumne
Paritätsgesetz: Süße Trauben und Selbstbetrug
- VonBascha Mikaschließen
Könnte es sein, dass Frauen eigene Interessen leugnen, wenn es um ihre Selbstbestimmung geht? Der Streit über das Paritätsgesetz legt diesen Schluss nahe.
Ein Fuchs hat Appetit auf süße Trauben, doch sie hängen zu hoch, er kommt nicht dran. Das ärgert ihn, und gleichzeitig ärgert es ihn, dass er sich ärgert. Diesem unangenehmen Gefühl will er entkommen. Also redet er sich ein, dass die unerreichbaren Trauben nicht etwa süß, sondern sauer sind und er sie deswegen gar nicht haben will.
Was der arme Fuchs hier erleidet, nennt die Sozialpsychologie kognitive Dissonanz. Seine Wünsche sind nicht mit der Realität vereinbar, also bastelt er sich die Welt im Kopf so zurecht, dass er sein Vorhaben leichter aufgeben kann und die konfliktträchtige Spannung nicht weiter ertragen muss. Man kann es auch Selbstbetrug nennen.
Ignorieren, verdrängen, vergessen, herunterspielen. Einstellungen, Verhalten und Überzeugungen ändern. Es gibt unterschiedliche Strategien, um dem Dilemma kognitiver Dissonanzen zu entgehen. Oft genug um den Preis, die eigenen, ursprünglichen Interessen wegzuleugnen. Könnte es sein, dass gerade Frauen dieser Versuchung erliegen, wenn es um ihre Selbstbestimmung geht? Dass es jahrtausendealte Prägungen, jahrhundertealte Erziehungs- und Sozialisationsmuster zur Unterordnung sind, die hier ihre Spuren hinterlassen?
Da kämpfen Frauenverbände, Aktivistinnen und Politikerinnen seit Ewigkeiten für weibliche Teilhabe in der Politik. Aktuell geht der Streit über ein Paritätsgesetz, das Parteien zwingen soll, ihre Wahllisten gleichermaßen mit Männern und Frauen zu besetzen. Der erste Vorstoß auf Landesebene ist gerade vor Gericht gescheitert. Doch die Auseinandersetzung wird weitergehen, das sind sich alle schuldig, die für Gleichberechtigung eintreten.
Und was sagen die Wählerinnen dazu? Glaubt man der neuesten Umfrage der Meinungsforscher von Forsa, ist es ihnen ziemlich schnurz. Offenbar geht der Streit um die Parität den allermeisten Frauen am XY vorbei. Nur eine Minderheit von elf Prozent bekennt, dass das Geschlecht der vielen männlichen und wenigen weiblichen Kandidaten für sie eine Rolle spielt; dass es für sie mit entscheidend ist, ob sich ein Mann oder eine Frau zur Wahl stellt. Die übrigen fast neunzig Prozent der Wählerinnen denken wohl – wer für mich Politik macht, Mann oder Frau, alles wurscht.
Geht’s noch?
Niemand behauptet, dass Frauen per se gute Politikerinnen sind. Einige derzeitige Ministerinnen, allen voran Julia Klöckner, scheinen der leibhaftige Gegenbeweis. Doch wenn es tatsächlich egal ist, ob Mann oder Frau Politik macht – warum ist es dann in allen Ländern, in denen sich viele Frauen im politischen Geschäft bewegen, insgesamt so viel besser um Gleichberechtigung bestellt?
Warum muss hierzulande jedes einzelne Stöckchen der Barriere, die Frauen hindert, noch immer mühsamst gegen männliche Beharrungskräfte abgetragen werden? Ist es verdammt noch mal wirklich egal, dass die Verhältnisse jedes demokratische Grundverständnis verhöhnen und Belange von Frauen mit Füßen getreten werden? Beim Ehegattensplitting angefangen und der Lohnungleichheit nicht aufgehört. Können Frauen wirklich behaupten, dass die politische Männerherrschaft daran unschuldig ist?
Oder ignorieren sie gern ihre eigenen Interessen um des lieben Friedens willen – im eigenen Bett und im gesellschaftlichen Raum? Wie sagt es die Psychologin Ines Imdahl so schön: Das zuweilen unterentwickelte Bewusstsein der Frauen führe zu einer subtilen Selbsterniedrigung.
Doch Frauen sind ja keine Füchse. Niemand zwingt sie, auf süße Trauben zu verzichten. Her mit der Leiter und pflücken.
Bascha Mika ist FR-Autorin. An dieser Stelle hat sie heute die Urlaubsvertretung für Petra Kohse übernommen.