Mit den Augen eines Sorglosen

Bedenken zu haben ist ein wohlbegründetes Menschenrecht. Viele üben es voll aus. Die Kolumne von Leo Fischer.
Wir leben, so scheint es, in konsequent sorgenschwangeren Zeiten. Krieg, Krankheit und Zerfall schlagen den Leuten aufs Gemüt; Rechnungen können nicht bezahlt werden; Kinofilme verspäten sich; nie aufgelöste Widersprüche eines bis ins Mark korrupten Systems brechen auf wie Sumpfdotterblumen auf tagealten Kuhfladen.
Viele blicken ängstlich aufs Monatsende, andere bedrückt auf die Monatsmitte, und für wieder andere ist schon der Monatsanfang komplett schwierig. Sich Sorgen machen ist wohlbegründetes Menschenrecht, und die meisten meiner Bekannten und Verwandten üben es voll aus.
Ich hingegen bin die meiste Zeit von einem völlig widersinnigen und oft auch direkt anstößigen Optimismus erfüllt, meist rabiat froh und hoffnungsvoll noch im Angesicht der kompletten Niederlage. Als Sorgloser fühle ich mich jedoch in der aktuellen Medienlandschaft nicht hinreichend repräsentiert.
Wir Unbekümmerten haben keine Stimme, gerade im Journalismus, und noch viel weniger in der Frankfurter Rundschau! Komplett Einverstandene wie ich werden selten gefragt, was wir von aktuellen Entwicklungen halten – dabei lässt gerade unser Optimismus zahllose Schattierungen zu, die auch alle gehört werden sollten.
Nehmen wir das Beispiel Franziska Giffey: Nachdem sie zuletzt versprochen hatte, Berlin restlos den Wohnungs-, Bau- und Fossilkonzernen zu überlassen, spricht sie sich nun für eine Koalition mit der CDU aus. So weit also nur konsequent und für mich erst mal kein Grund, meine Sorglosigkeit abzustreifen.
Auch die Tatsache, dass dadurch eine Blockademehrheit für die Konservativen im Bundesrat entstehen könnte, lässt mir erst mal keine grauen Haare wachsen: Im Bundesrat landet doch ohnehin nichts, was die Ampel nicht schon längst mit der CDU ausgekungelt hätte, und im Übrigen bietet eine solche Mehrheit zahlreich Gelegenheit, noch eifriger am schwarz-grünen Projekt herumzubasteln, überparteiliche Freundschaften zu schließen und einander konsequent die Bälle zuzuspielen.
Auch rein dramaturgisch wäre für die Ampel in dieser Staffel ein neuer Gegner wichtig, das Scheitern ihrer Vorhaben immer nur auf die bockige FDP zu schieben, hat uns Zuschauerinnen und Zuschauer zuletzt nicht wirklich überzeugt. Der CDU hingegen traut man jedes Verbrechen zu, sie ist als Alibi viel plausibler.
Aber was ist dann mit unserem quirligen, aufregenden Berlin, werden da manche nölen, der Kreativwirtschaft, der weltweit hochgelobten Tanzbeinszene und der Beat-Musik? Kann Berlin noch glaubwürdig Zentrum der Gegenkultur bleiben, wenn es nicht mehr von der schrillen Popikone Giffey, sondern von christdemokratischen Betonköpfen regiert wird?
Auch diese Sorgenfalte will ich Ihnen gerne weglasern: Berlin kommt hier nur zu sich selbst. Die zahlreichen Kreativschwaben, die sich dort inzwischen in Gated Communities einrichten, wollen auch hier von einem in der Wolle gefärbten Reaktionär wie Kretschmann regiert werden, der peinlich genau auf Nachtruhe, Kehrwoche und regelmäßig geleerte Bettpfannen achtet und ansonsten dafür Sorge trägt, dass die schönen Stadtteilgymnasien sich sozial nicht allzu stark durchmischen.
Auch hier kommt letztlich gleich zu gleich. Und auch hier wird die Geschichte uns Sorglosen im Nachhinein recht geben!
Leo Fischer ist Autor, Stadtrat in Frankfurt (Ökolinx) und war Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“.