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Leopard-Panzer für die Ukraine: Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland

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Von: Michael Herl

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Die Deutschen wollten schon vieles. Nun liefern sie Leopard-Panzer in die Ukraine. Die Kolumne.

Frankfurt – Eigentlich sind Träume ja eine feine Sache. Es ist warm und kuschelig, wir liegen stundenlang da, schnarchen selbstzufrieden vor uns hin und erholen uns vom anstrengenden Tagwerk. Also alles gut und alles easy? Von wegen.

Denn während die meisten derer, die unser Ich bilden, auf der faulen Haut liegen, schieben jene, die in unserem Gehirn angestellt sind, emsig Sonderschichten. Nacht für Nacht, an jedem Tag des Jahres. Es sind hochqualifizierte Spezialkräfte, versiert in Elektrik und Elektronik, manche verfügen sogar über Fähigkeiten, die die Wissenschaft noch nie zu ergründen vermochte.

Kampfpanzer für die Ukraine – Vom Traum in die Realität

Unser Gehirn ist der am wenigsten erforschte Teil unseres Körpers, trotz modernster Diagnosetechnik. Es ist so etwas wie unten die Tiefsee und oben das Universum, wo auch niemand weiß, was genau sich dort so alles abspielt. Klar ist nur eins: Während wir schlafen, bringen die Spezialisten im Kopf das Gehirn auf Vordermann. Sie räumen auf und prüfen, was wird noch gebraucht und was nicht, was ist womöglich Kunst, und was kann weg.

Leopard-Panzer
000_337P928.jpg © Wojtek Radwanski / AFP

In der Regel machen sie einen guten Job, rigoros und konsequent. Wie gut, das merken wir kurz nach dem Aufwachen. „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“ hieß ein rührseliger Film aus den SechzigerjJahren. Sind damit die ersten Sekunden nach dem Öffnen der Äugelein gemeint, könnte das hinhauen. Es ist die kurze Phase des Hinübergleitens aus dem Reich der süßen Träume in die Härte der Realität. Seit einiger Zeit ist dieser Vorgang besonders brachial. Denn wie Fetzen dunkler Wolken wehen fünf Buchstaben in unser Bewusstsein und formieren sich zu einem bösen Wort: Krieg.

Panzerlieferung an die Ukraine: Der Traum ist aus. Wir sind im Krieg

Wir Deutsche hatten schon immer ein inniges Verhältnis zum Militarismus. Das steckt offensichtlich in unseren Genen, weiß der Teufel warum. Das zeigte sich sogar nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs, als wir uns einen fast schon manischen Pazifismus aneigneten. Am deutschen Wesen sollte abermals die Welt genesen, doch anders als früher. Das vormals blutrünstigste Volk der Erde wollte sich zum harmlosesten wandeln. Das ging ebenso schief wie die Entnazifizierung auf Knopfdruck. Wir hatten immer Nazis, wir haben Nazis und wir werden immer Nazis haben – so wie alle anderen Länder auch. Nur sind Nazis aus Deutschland etwas anderes als Nazis woanders. Diesen Fluch werden wir nicht los, und das zu Recht.

Ähnlich verhält es sich mit Waffen. Es war nicht die schlechteste Idee, den Deutschen nach 1945 die Wiederbewaffnung zu untersagen. Hätte man es mal dabei belassen. Stattdessen wurden wir – friedliebend wie wir waren – rasch zu einer der bedeutendsten Rüstungsschmieden der Welt. Der Tod blieb ein Meister aus Deutschland. Also hing es ausgerechnet an uns, den Herstellern, zu bestimmen, ob Leopard-2-Panzer in die Ukraine geliefert werden. Die Entscheidung ist gefallen. Wir konnten nicht länger so tun, als hätten wir damit nichts zu tun. Nun bleibt nur noch eins. Wir müssen endlich die Aufwachphase aus unserem künstlichen Koma beenden und erkennen: Der Traum ist aus. Wir sind im Krieg.

„Doch gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit wird? Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur eins, und da bin ich mir sicher. Dieses Land ist es nicht.“

„Der Traum ist aus“ von Rio Reiser, Ton Steine Scherben

(Michael Herl)

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