Mehr Irritationen und Brüche

Es muss mehr Perspektiven geben als das Normale, damit mehr Menschen verstehen, was es für Gleichberechtigung braucht. Die Kolumne.
Was wäre wenn? Das frage ich mich oft. Was wäre, wenn nicht nur einmal im Jahr zum Black History Month das selbstbestimmte Wirken Schwarzer Menschen in unserer Gesellschaft hervorgehoben werden müsste, sondern selbstverständlich wäre. So selbstverständlich, dass es keine Räume mehr bräuchte, um ihre Ungleichbehandlung deutlich zu machen.
Dann wäre klar, dass in der deutschsprachigen Belletristik Schwarze Autor:innen eine lange Tradition haben. Es gäbe etablierte Literaturkritiker:innen, die die Traditionen, Einflüsse und Bezüge von Schreibenden der afrikanischen Diaspora in Deutschland zu deuten wüssten. Und es bräuchte kein erstes Schwarzes Literaturfestival, das von der Schriftstellerin Sharon Otoo erst initiiert werden musste, das „Resonanzen“ heißt und nun im Mai im Rahmen der Ruhrfestspiele in Recklinghausen stattfindet. Braucht es Veranstaltungen wie diese? Ja, weil alles, was passiert, Bedeutung hat, je nachdem welche Körper mitwirken. Weil dort Schwarze Schriftstellern:innen „präsentiert, gewürdigt und gefeiert werden“.
Es ist für mich ein Appell, den Fokus zu verändern, die Norm zu verrücken. Um deutlich zu machen, dass alle über alles schreiben können und das ein sogenannter Herkunftsroman nur eine Konstruktion ist, um die Literatur migrantisierter Autor:innen auszuklammern, wie Übersetzer:in Yezenia León Mezu es bei der Veranstaltung „Schwarze Literatur in Deutschland“ mit Otoo in der Kunsthalle Mainz erklärte.
Der Wunsch, mehr Perspektiven einen wertschätzenden Zugang in etablierte Räume zu gewähren, lässt sich auf viele Orte übertragen. Ebenso lässt sich die Irritation vergleichen, die eine Veranstaltung wie „Resonanzen“ bei manchen auslöst.
Erinnert sei an die Inszenierung des Stücks „Mittelreich“ von Anta Helena Recke an den Münchner Kammerspielen 2017, als sie die ursprüngliche Version kopierte und das weiße Ensemble mit einem Schwarzen austauschte. Das hatte es hierzulande so noch nicht gegeben.
Recke empfand es als konsequent und klar, weil sie herausgearbeitet hatte, was das Publikum selten wahrnimmt. Zum Beispiel, wie die Professionalität zwischen Schwarzen und weißen Kulturschaffenden unterschieden wird. Sie nahm sich die Freiheit, mit der Irritation zu spielen und Resonanz zu erzeugen.
Davon wünsche ich mir mehr. Mehr Irritationen und Brüche mit dem vermeintlich Normalen, damit mehr Menschen verstehen, was es für eine Gleichberechtigung braucht. Dass es darum geht, das zu Durchbrechen, was uns an Realitäten und Erfahrungen trennt.
Was wäre, wenn bei dem Wunsch nach Wandel, der an vielen Orten wächst, nicht nur kosmetische Veränderungen vorgenommen werden würden, weil Diversität kein Trend ist? Wenn drangeblieben werden würde, auch wenn es unangenehm wird und es keinem genügen würde, wenn nur „eine“ Schwarze, queere, behinderte oder xy Merkmal Person mit in einem Team ist. Es braucht echte Veränderung in den Strukturen.
Und was wäre, wenn das, was ich hier schreibe als Einladung verstanden werden würde? Dazu, den Mut aufzubringen, progressiv und kreativ die Tatsache zu verhandeln, dass Diskriminierung keine Illusion ist. Und sich dadurch mehr Menschen verbinden, verbünden und gemeinsam eine neue Richtung einschlagen, um zu dem zu kommen, was „wir“ wirklich sind.
Mit dieser Haltung wären mehr Menschen von Interventionen wie den Genannten inspiriert und nicht verunsichert. Das wäre was.
Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin.