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Mehr als eine Himmelsrichtung

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Von: Anetta Kahane

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Im Stadtteil Prenzlauer Berg im Osten Berlins 1990.
Hauswand im Stadtteil Prenzlauer Berg im Osten Berlins 1990. © Imago

Zwei Bücher lösen eine Debatte über den Osten Deutschlands aus. Doch leider übergeht und entschuldigt diese Diskussion wieder einmal viel zu viel. Die Kolumne.

Eine neue Ostdebatte bewegt sich durch die Medien, angeregt vor allem durch die beiden Bücher „Der Osten ist eine westdeutsche Erfindung“ von Dirk Oschmann und „Diesseits der Mauer“ von Katja Hoyer. Interessant ist der Zeitpunkt dieser Diskussion und wer sich wie daran beteiligt.

Beide Bücher stellen sich nicht wirklich der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Im Gegenteil, sie erscheint harmlos, fast liebenswert, was sie nicht war. Und an den Folgen der Einheit ist allein der Westen schuld. Echt jetzt?

Als Mitte der 1980er Jahre in der DDR Skinheads und Neonazis gewalttätig durch die Straßen zogen, Hakenkreuze malten und Leute zusammenschlugen hieß es, das wäre eine Art Opposition zum antifaschistischen Staat. Als die Mauer fiel und Nazis mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern gegen Migrantinnen und Migranten randalierten, hieß es, dies sei eine natürliche Reaktion der Menschen auf die Wende.

Als die rechten Parteien gewählt wurden hieß es, es sei die Arbeitslosigkeit. Und jetzt heißt es, die Demütigung des Ostmenschen als solchem sei an allem schuld. Diese Argumente kamen übrigens auch aus dem Westen. Deshalb: herablassende Töne darüber, wie es jetzt ist im Osten mit fast 30 Prozent AfD können sich deshalb besonders diejenigen sparen, die sich nicht den Dreck unter dem Fingernagel gekümmert haben, als sich die Nazis durch die Baseballschlägerjahre prügelten.

Was mich an der Ostdebatte stört ist, dass wieder so vieles übergangen und entschuldigt wird. Doch, es gibt eine völkische Stimmung im Osten, weil es die auch vor und während der DDR gab. Im Westen mag das Völkische mühsam gezähmt worden sein. Im Osten gab es dazu nur halbherzige Versuche. Die Corona-Maßnahmen haben im Osten wieder enorme Aggressionen ausgelöst und ebenso aggressiv ist das weit verbreitete Verständnis gegenüber Russland.

Der Ostmensch, so erklären Richard Wagner, Joseph Beuys und Rudolf Steiner das Wesen ihrer Welt, besteht einzig aus Gut und Böse. Für sie ist der Westmensch ein Materialist, bei dem Intellektualismus und Rationalität dominieren und dessen Denken die Seelenkraft abtöte. Der Ostmensch hingegen sei intuitiv und der geistigen Welt verbunden. Er besitzt übergeordnetes Wissen, übernatürliche Wahrheit, den feinen Umgang mit der Natur und dem heimatlichen Boden. Klingt nach Schwurbelei?

Dies ist der Kern eines antisemitischen Weltbildes und hat eine lange Tradition. Der Osten ist eine Denkweise, dem es nach einer Natürlichkeit dürstet, die nicht davor Halt macht, auch mal radikal grausam zu sein.

Schwurbelei ist eine gesamtdeutsche Gesinnung, die sich von jeher anti-westlich, intellektuellen- und technikfeindlich sowie russlandfreundlich zeigt. Diese Gesinnung hat nichts mit Herkunft zu tun und nichts mit Himmelrichtungen. Sie ist die Basis jener Querfront, wie wir sie gerade erleben. Dennoch hat der Osten ein besonderes Problem damit. Das zu leugnen, ist einfach nur deprimierend, denn es bringt die moderne Gesellschaft kein Stück weiter.

Wir müssen darüber debattieren, wie gefährlich diese östliche Gesinnung ist. Sie schließt nicht ein, sondern aus, sie will nicht weiter, sondern zurück. Sie ist also viel mehr als eine Himmelsrichtung.

Anetta Kahane war Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.

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