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Mauerblümchen und Pottwal

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Von: Manfred Niekisch

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Wale schützen das Klima.
Wale schützen das Klima. © Imago

Jetzt wird die Rolle bekannt, die Ritzenrebellen und Meeressäuger als Klimaschützer spielen – auf der Garageneinfahrt und in den Ozeanen. Die Kolumne.

Wie viel das viel bringt, ist noch unbekannt. Aber inzwischen werden Wirkungen auf den Klimawandel bekannt, die ihn zumindest bremsen helfen. Dabei geht es um ganz unterschiedliche Lebewesen, die man bisher kaum in Zusammenhang damit brachte. Das sind einmal kleine Pflänzchen, die in bunter Zahl von 500 Arten in den Ritzen zwischen Pflastersteinen und in Spalten von Mauern einen zähen Überlebenskampf führen.

Offenbar mögen die meisten Menschen sie nicht. Warum sonst werden Garagenzufahrten und Bürgersteige so klinisch pflanzenfrei gehalten? Mit Gift, Hochdruckreiniger und Feuer werden sie bekämpft. Wer ihnen etwas weniger martialisch, aber nicht minder zerstörerisch mit Kratzgeräten zu Leibe rückt, nimmt sogar Rückenschmerzen in Kauf, Hauptsache die Fugen werden sauber.

Dabei leistet die Pflasterritzen- oder Fugenvegetation, wie sie botanisch genannt wird, Erstaunliches. Die Kräuter, Gräser und Moose überleben Belastungen durch Autoreifen und Tritte, Hitze, Trockenheit und Schmutz. Wohlgemerkt ist hier nicht gemeint ihre edle Verwandtschaft aus den Gartencentern, die absichtlich angepflanzt wird und so klangvolle Namen beinhaltet wie Mauerpfeffer und Teppichverbene. Nein, es geht um die Spontanvegetation, die sich ohne menschliches Zutun ansiedelt. Der bekannte Löwenzahn mit seinen schönen gelben Blüten gehört ebenso dazu wie Pflänzchen mit wohlklingenden Namen wie Birnmoos, Zarte Binse und Niederliegendes Mastkraut. Sogar das charismatische Vergissmeinnicht gehört dazu.

Ob ihres erfolgreichen Kampfes gegen alle Widrigkeiten haben sie sich inzwischen einen volkstümlichen Namen verdient. Sie sind die Ritzenrebellen. An extremen Standorten dienen sie, wo sonst kaum etwas wachsen kann, als Insektennahrung, kühlen das Pflaster, lassen Wasser versickern und verringern so die Flächenversiegelung, bereichern die biologische Vielfalt der Städte. Um ihre Schönheit zu sehen, muss man mitunter ein bisschen genauer hingucken. Aber es gibt genug Argumente, sie einfach leben zu lassen, diese Winzlinge gegen den Klimawandel.

Größenmäßig am anderen Ende der Skala von Lebewesen stehen die Wale. Auch sie werden jetzt als Klimaschützer bekannt. Man hat ihnen zugesetzt, ohne dass man sie – gewagter Vergleich – als störend empfand wie ein Mauerblümchen in der Garageneinfahrt. Sie waren einfach eine wertvolle Quelle für unendlich viele Rohstoffe, mit ihren Ölen, Fetten, wertvollen Bestandteilen für Pharmazie, Kosmetik, als Schmier- und Leuchtmittel.

Inzwischen avancierten Pottwal und Co. zu Ikonen des Naturschutzes. Über ihre Nahrungsaufnahme werden sie zu beachtlichen Kohlenstoffspeichern. Sterbend sinken sie auf den Meeresgrund und nehmen den bis dahin gebundenen Kohlenstoff dorthin mit. Aber auch schon zu Lebzeiten schützen Wale das Klima. Und zwar mit ihrem Kot. Von dem ernährt sich das Phytoplankton, welches über die Photosynthese CO2 speichert und somit der Atmosphäre entzieht. Seit dieser Kreislauf bekannt ist, macht das Wort von den Walen als Wälder der Meere die Runde, zumindest was die Klimawirkung von Wald und Wal angeht.

Die klimaschützende Wirkung von Mauerblümchen und Walen mag nicht sehr groß sein. Aber angesichts des Zustandes unseres Klimas zählt jeder Beitrag.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.

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