Land des Versagens

Guter Wille allein reicht nicht, die Umsetzung muss stimmen: Was oft lauthals als Scheitern beklagt wird, ist tatsächlich ein Ergebnis fehlender Planung. Die Kolumne.
Immer wieder gibt es solche Tage. Ein Thema liegt an – und allseits wird auf den Putz gehauen. Die Forderungen, meist nach Geld, überschlagen sich. Konsens ist nur, dass all die bisherigen Anstrengungen nicht ausgereicht haben, dass noch mehr und viel konsequenter angepackt werden muss. Was massiv Staatsgeld kosten wird, selbstverständlich. Aber dafür sind dann andere zuständig.
So ein Ereignis war zuletzt der Koalitionsgipfel zur Klimapolitik, davor aber auch schon der schwächliche Bildungsgipfel der Forschungsministerin. Geradezu erschütternd jeweils die Lagebilder – und man kann problemlos an der Kette weiterstricken. Neben Klima und Bildung ist da der rückläufige Wohnungsbau oder die einsatzunfähige Bundeswehr. Ein Land des Versagens. Dass auch mal etwas gelungen sein könnte? Passt gerade nicht. Würde auch ablenken.

Nun lebt ertragreiche Debatte von radikaler Kritik. Zu oft aber zeigt sich, dass vorab mit zu vollem Mund die Ziele gesetzt wurden – und ab dann immer dasselbe Argument folgt: Ohne mehr und noch mehr Geld werden die Ziele verfehlt. Bis manchmal, siehe gerade das Heizungsthema, recht spät auffällt, dass ein wichtiges Projekt in der Breite der Gesellschaft noch nicht wirklich verankert ist. Und dann Ausflüchte schon wie abschließende Begründungen der Unmöglichkeit erscheinen.
Oft also fehlt weniger die Ambition als ihre solide Umsetzung – weil zu viele den vollen Mund schon für die Verdauung halten. Weil gerne langfristig prima Ziele verabredet werden, zumal international, an deren Realisierung erst die Nachfolgegeneration gemessen wird. Siehe Armutsbekämpfung. Oder auch nur das Ziel, dass niemand mehr die Schule ohne Abschluss verlassen soll.
Anhand des Bildungsthemas lässt sich besonders schön zeigen, wo solides Planen beginnen müsste. Da gibt es nämlich eine zentrale Zahl. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht sie regelmäßig, von Geheimzahl kann also keine Rede sein. Es ist die Zahl, auf der alles aufbaut, weil sich aus ihr die Bedarfe ableiten. Ziemlich präzise sogar. Die Rede ist von der Geburtenzahl.
Zur Person
Richard Meng ist Vorsitzender des Kuratoriums der Karl-Gerold-Stiftung und Chefredakteur der Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte.
Minus 6,4 Prozent war da 2022 der Befund der Statistiker, genau aufgeschlüsselt nach Ost und West, beflissenerweise auch nach deutscher oder nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Minus 6,4 Prozent: Da werden sie in der Schulpolitik an Entwarnung und in der Rentenpolitik an Katastrophe denken. Sogar eine Vorausberechnung bis 2070 gibt es, ziemlich vage natürlich.
Die Prognose bis 2030 aber müsste doch eigentlich längst Richtschnur sein. Wer so genau weiß, wie viele Kinder geboren sind, kann exakt vorhersagen, wie viele wann in die Schule kommen, plus Zuwanderungsfaktor natürlich. Was bedeutet: Der Bedarf in sechs Jahren steht heute schon fest, die dann nötigen Grundschullehrkräfte ließen sich ausbilden. Für die weiterführende Bildung ist die Vorwarnzeit noch deutlich länger.
Warum klappt es seit Jahrzehnten nicht, das Schulsystem zu planen? Warum fällt beim Klimathema so schwer, die klaren Prognosen der Wissenschaft als künftige Realität zugrunde zu legen und präziser zu planen als nur den nächsten Schritt, der dann so viele verstört? Viele antworten mit Zuständigkeitsfragen und Kurzfristdenken. In der Praxis haben sie sich daran gewöhnt. Und retten sich im Notfall – neudeutsch – maximal in einen Masterplan oder eine Taskforce.
Es wird Zeit, dass Ziele öffentlich nur noch mit Umsetzungsplänen akzeptiert werden. Wer das Planwirtschaftspolitik nennt: Per Bürokratie alleine wird es nicht funktionieren, aber ohne mehr Planen gewiss nicht. Das Problem hinter so manchem Problem ist die oberflächliche Art, arbeitsteilig nur den guten Willen zu zelebrieren. Die Konsequenz: Zu viele sind mit ihrer Unzufriedenheit zufrieden.
Richard Meng ist Vorsitzender des Kuratoriums der Karl-Gerold-Stiftung und Chefredakteur der Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte