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„Kulturschaffende“ entlassen

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Von: Harry Nutt

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Warum nicht Künstler und Künstlerinnen statt „Kulturschaffende“ sagen?
Warum nicht Künstler und Künstlerinnen statt „Kulturschaffende“ sagen? © dpa

Es klingt inklusiv und auf der Höhe der Zeit. Mit dem Begriff „Kulturschaffende“ versuchen viele, sich genderneutral auszudrücken. Doch er ist historisch belastet. Die Kolumne.

Der Soziologe Niklas Luhmann war stets skeptisch, wenn es um den Begriff Kultur ging. Sie sei kein eigenes System und komme zu oft vor. In einer erstaunlich emotionalen Diktion bezeichnete Luhmann Kultur gar als „einen der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind“. Gestört haben dürfte er sich an einer ausufernden Beliebigkeit, in der beinahe alles zur Kultur zu werden droht. Unternehmenskultur, Spielkultur, Esskultur – der Begriff ist derart inflationär in Umlauf, als gehe es darum, sich nicht weiter festzulegen.

Der Zauber des Wortes Kulturschaffende geht indes von der Kunst aus, genderneutral zu formulieren. Um als Sprecher auf der sicheren Seite zu sein, sind viele dazu übergegangen, „Kulturschaffende“ als praktischen Passepartout zu verwenden. Es klingt unschuldig, inklusiv und auf der Höhe der Zeit. Wenn er oder sie sich da mal nicht täuscht.

„Kulturschaffende“ sind historisch gleich doppelt belastet. Schon vor einigen Jahren hat die österreichische Historikerin Isolde Vogel dringend angeraten, nach Alternativen Ausschau zu halten.

Der Begriff gehe, so Vogel, auf die nationalsozialistische Reichskulturkammer zurück, die diesen von 1933/34 an neu geprägt habe, indem sie alle in der Kultur Tätigen als Kulturschaffende bezeichnete, die sich ihr sogleich anschließen sollten. „Wer ab diesem Zeitpunkt in der Kultur tätig sein wollte, musste eben auch Mitglied der Reichskulturkammer sein.“ Der Zwangsmitgliedschaft auf der einen Seite stand der Ausschluss der Juden auf der anderen gegenüber.

Der Zusammenhang von Inklusion und Exklusion ist nicht erst mit dem Kulturbegriff in Verbindung gebracht worden, seit vor einigen Jahren vehement über Leitkultur debattiert wurde. Der Begriff Kultur rührt vom lateinischen „cultura“ her und bedeutet Landbau oder Pflege, abgeleitet vom Verb „colere – pflegen“. Sehr früh jedoch wurde die Bedeutung etwas weiter gefasst. So knüpfte der Philosoph Cicero an das Beispiel der Landwirtschaft, der „agricultura“, das der „cultura animi“ an, der Pflege des Geistes.

Da Ciceros Bildungsbegriff im Kontext der römischen Gesellschaft zur Zeit des Julius Caesar Geltung erlangt hat, wurde wiederholt kritisch auf dessen Ausschlusscharakter verwiesen. Sklaven waren jedenfalls nicht enthalten.

Nach 1945 schien sprachliche Sensibilität besonders vonnöten, weshalb Wilhelm Emanuel Süskind das Gerundivum Kulturschaffende in das „Wörterbuch des Unmenschen“ aufnahm.

Das schien in der bald darauf entstehenden DDR niemanden zu beeindruckenden. Weil das Wort zur Ausbildung einer proletarischen Existenz gut geeignet schien, siedelte es kurzerhand in den Jargon des sozialistischen Staates über.

Mehr als eine sprachliche Verlegenheit gilt der Einsatz „Kulturschaffender“ inzwischen als Nachweis gesellschaftspolitischer Fortschrittlichkeit. Schon um nicht andauernd von Künstlerinnen und Künstlern sprechen zu müssen, hat sich das Wort als gefällige Alternative breitgemacht.

So verwies Kulturstaatsministerin Claudia Roth zuletzt in beinahe jedem ihrer Interviews auf die prekäre Lage der Filmschaffenden in Iran. Diese wahrzunehmen, ist in der Tat wichtig. Aber wäre es nicht längst überfällig, die „Kulturschaffenden“ endlich aus der sprachlichen Praxis zu entlassen?

Harry Nutt ist Autor.

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