Pädagogische Empfehlungen

Das Bildungswesen steckt voller Herausforderungen und Probleme, die es anzugehen gilt. Wie? Hier sind dazu ein paar Ideen. Die Kolumne.
Dieser Tage wird in Berlin nicht nur beim Nachprüfen der Wahlzettel viel gerechnet, sondern auch an heimischen Küchentischen. Anderswo in der Republik sieht es in Haushalten mit Schulpflichtigen wohl kaum anders aus. Die Auswahlgespräche für die Aufnahme in weiterführende Schulen haben begonnen, auf die manche Eltern ihre zitternden Kinder schon seit Wochen vorbereiten. Auf Abiturklausuren und Prüfungen für den mittleren Schulabschluss wird auch gelernt. Noch immer, trotz des systemischen Versagens dieser Institution während der Corona-Zeit und der digitalen Möglichkeiten, sich Wissen zu beschaffen, ohne darüber verfügen zu müssen, ist „Schule“ als Instanz das Bollwerk, das es einzunehmen gilt, bevor der junge Mensch sein Leben beginnen darf. Der Ort, an dem Gesellschaft vorgeformt wird, geleitet von studiertem Fachpersonal nach gesetzlichen Vorgaben.
„Gut in der Schule“ zu sein, ist das Synonym einer gelingenden Kindheit und Jugend, wer es nicht ist – hat Pech. Beziehungsweise bekommt das, was man früher einen „Blauen Brief“ nannte, in dem die Eltern des oder der Betreffenden darüber informiert werden, dass „Verweilen“ droht, also die Versetzung gefährdet ist. Wobei man diese Familien in Berlin nicht unberaten lässt. Im Gegenteil werden auf einem Formular jeweils „individuelle Fördermaßnahmen (Bildungsplan)“ angeraten, gemäß § 59 (2) des Schulgesetzes von Berlin in der Fassung vom 1.2.2004. Eine amtliche Sache also, vermutlich höchstrichterlich verabschiedet.
Auf der linken Seite dieses den Blauen Brief begleitenden Blattes können als mögliche „Beobachtungen“ für bis zu vier Schulfächer insgesamt zwölf besorgniserregende Verhaltensweisen des Schülers oder der Schülerin angekreuzt werden, denen auf der rechten Seite pädagogische Empfehlungen gegenüberstehen.
Bei dem Problem „… macht die Hausaufgaben selten / nicht vollständig“ empfiehlt die Schulbehörde etwa, die Hausaufgaben stattdessen doch „regelmäßig und sorgfältig anzufertigen“. Bei dem Umstand, dass jemand „keine ordentlichen Unterrichtsmitschriften anfertigen“ kann, dass er oder sie „schriftliche Unterlagen formal / inhaltlich sorgfältiger erstellen“ soll. Und was wird geraten, wenn der Unterricht „selten / nicht“ vorbereitet ist? Sie ahnen es: „den Unterricht kontinuierlich vor- und nachbereiten“.
Das ist in seiner Umstandslosigkeit, in der Engführung von Problem und Lösung und in der Fokussierung auf das Verursacherprinzip natürlich nicht ohne Charme und könnte auch für andere gesellschaftliche Bereiche, in denen es um Beratung geht, vielleicht in der ärztlichen Praxis, beispielhaft sein. Das Kind hustet? Sagen Sie ihm, es soll das lassen. Sie können schlecht schlafen? Schlafen Sie besser! Sie haben Depressionen? Lachen Sie doch mal!
Unbedingt aber sollte dieser individuelle Problemlösungsangang im Bildungswesen selbst Schule machen und von Elternvertretern und Schulsprecherinnen unerschrocken angewendet werden: Es gibt zu wenig Lehrkräfte? Stellen Sie welche ein! Die Toiletten sind kaputt? Lassen Sie sie reparieren! Die Turnhallen sind marode? Bauen Sie neue! Es gibt zu wenig Bücher? Bestellen Sie welche! Viele Erstklässler und Erstklässlerinnen sprechen kein / schlecht Deutsch? Bringen Sie es Ihnen bei! Der Notenschnitt der Klasse ist zu schlecht? Heben Sie ihn an! Das Kind lernt in Ihrem Unterricht nichts? Fragen Sie sich mal, warum!
Petra Kohse ist Theaterwissenschaftlerin, Kulturredakteurin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.