Das schnelle V-Wort

So manche bloße Aussage gilt rückblickend als ein Versprechen. Wir alle sollten aber vorsichtig mit diesem wertvollen Begriff umgehen. Die Kolumne.
Wahlkampf in Berlin, es ist wieder so ein aktueller Fall. 29-Euro-Ticket für alle plakatiert da die Partei der Regierenden Bürgermeisterin. Bis über die Wahl hinaus gibt es in Berlin tatsächlich das 29-Euro-Ticket für alle. Aber wenn bald die bundeseinheitlichen 49-Euro-Angebote kommen, wird es schwer und teuer werden, dauerhaft derart weit für alle darunter zu bleiben.
Die politischen Konkurrenten werden dann gerne schreien, ein Versprechen sei gebrochen. Und niemand wird genauer fragen, wie man eigentlich nennt, was auf Wahlplakaten steht. Programm? Ziel? Absicht? – oder doch wirklich Versprechen? Ein Versprechen ist, so die sprachamtliche Definition, eine verbindliche Zusage für künftiges Handeln, eine bindende Selbstverpflichtung.
Eine zugleich, die explizit als Versprechen ausgesprochen werden muss – und die sich erst darin von der üblichen Wunscherklärung unterscheidet. Wobei einst ein Parteichef namens Franz Müntefering zu Recht ziemlichen Ärger wegen der banalen, aber eben gefährlich unscharf formulierten Aussage bekam, dass es unfair sei, Politiker an ihren Aussagen vor Wahlen zu messen. Aussagen nur? Auf die Wortwahl kommt es an.
Mindestens rückblickend gilt umgangssprachlich inzwischen in Politik wie Privatleben (fragen Sie Ihre Kinder) so manche alte Aussage schnell als Versprechen. Zumal dann, wenn es anders kam. Wenn also, und sei es sprachschludrig, der Bruch eines Versprechens behauptet werden kann. Dies sei hier also ausdrücklich nicht nur dem Journalismus angekreidet, der sich des Begriffs Versprechen besonders im Rückblick gerne bedient: Hatte versprochen liest sich nun mal dramatischer als hatte angekündigt oder hatte in Aussicht gestellt. Doch es ist nicht egal.
Zur Person
Richard Meng ist freier Autor und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung.
Selbst ein Wahlprogramm – zumindest wenn es darin heißt „wir wollen“ und nicht „wir werden“, wie es PR-Beraterinnen und -Berater manchmal hineinformulieren – ist nicht automatisch ein Versprechen, sondern ein selbstgesetztes Ziel, juristisch: eine Bemühenszusage. Welche Koalition mit welchen Kompromissen später regiert, weiß bei der neuen Buntheit der Parlamente vorher niemand mehr. Handelnde, Beobachtende, Publikum: Es ist deshalb zu oft ein zu gedankenloses Spiel mit jenem V-Wort, das eigentlich doch so wichtig wäre – wenn es denn seriös und sorgfältig verwendet würde.
Es gibt klassische Beispiele für gebrochene Versprechen. Der kurz danach tot aufgefundene schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel stand 1987 dafür mit seinem unwahren Satz: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind. Ein Jahr später versuchte es der spätere US-Präsident George Bush Senior im Wahlkampf erfolgreich mit der Formulierung „Read my lips – no new taxes“. Das Kritikwürdige war nicht, dass später in leicht veränderter Lage doch Steuern erhöht wurden. Sondern dass sie erhöht wurden, obwohl er sich als Person derart verbindlich festgelegt hatte.
Die Berliner 29-Euro-Aussage ist als Ist-Beschreibung richtig, als Zukunftsprogramm unsicher. Womit wieder die Frage gestellt ist, wie man das eigentlich nennen soll, was auf Wahlplakaten steht. Die meisten sagen: Wahlversprechen. Wer sich im Schwarz-Weiß-Denken wohl fühlt, wird später drauf einprügeln. Aber genau diese Reflexe, der falsche Begriff und sein Ausschlachten, sind ein Problem.
Denn was im Alltag selbstverständlich ist, dass Unerwartetes passiert, neue Widerstände entstehen und am Ende nur Kompromisse weiterführen, prägt auch die Demokratie. Gut, wenn es dafür einen differenzierten Wortschatz gibt. Denn auf Abstumpfen folgt Abwenden. Das V-Wort steht für etwas Besonderes, Außergewöhnliches – deshalb mehr Vorsicht bitte. Um der Verlässlichkeit willen. Versprochen?