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Kolumbianische Kohle

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Von: Manfred Niekisch

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Kanzler Scholz belebt den Kohleabbau und die Verletzung von Menschenrechten an den indigenen Wayuu. Das ist nicht gerechtfertigt.

Eigentlich war es schon beschlossene Sache. Die Firma Glencore hatte vergangenes Jahr entschieden, ihr größtes Abbaugebiet für Steinkohle im Norden Kolumbiens zu schließen. Die dort lebende Ethnie der Wayuu glaubte aufatmen zu können. Wenigstens bezüglich der Bedrohungen durch den Kohleabbau.

Ansonsten hatte und hat sie schon lange unter Repressionen zu leiden, nicht nur, aber besonders mit den Schäden an ihrer Umwelt und Gesundheit durch die Kohleförderung. Der Boykott russischer Kohle wegen des Überfalls auf die Ukraine und die Suche nach Ersatz machen die Wiederinbetriebnahme des Abbaugebietes El Cerrejon jetzt plötzlich wieder rentabel.

Der ansonsten nicht gerade durch schnelle und mutige Entscheidungen profilierte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz rief den kolumbianischen Präsidenten Iván Duque an. Nicht, um sich über die Lage der Menschenrechte zu erkundigen oder gar diese einzufordern. Nein, Kanzler Scholz ist, wie andere westliche Staatenlenker, auf der Suche nach neuen Kohlequellen.

Das Telefonat wirkte. Das kolumbianische Umweltministerium genehmigte umgehend die Verlegung des Flüsschens Bruno, damit der Abbau weitergehen kann. Ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung, deren Rechte, deren Heimat, die so wichtigen Tropenwälder.

Kanzler Scholz hat sich und dem Ruf Deutschlands keinen Gefallen getan und nicht nur in den Kreisen in Deutschland lebender Kolumbianerinnen und Kolumbianern heftige Proteste ausgelöst. Aber hier geht es nicht um Gefallen, sondern um die Identifizierung von Energielieferanten außerhalb Russlands.

Kolumbien ist weit genug weg, weiter weg jedenfalls als Garzweiler, Hambach und Inden und deren verlorene Dörfer und Wälder. Proteste der Wayuu-Indigenen und für deren Lebensraum sind hierzulande weniger große Aufreger. Dass an der kolumbianischen Kohle Blut klebt und unsägliche Umweltsauereien mit ihr verbunden sind, ging schon vor zehn Jahren durch die deutsche Presse. Hat Olaf Scholz damals nicht Zeitung gelesen? Das wäre nicht gut. Oder hat er es vergessen? Das wäre noch schlechter, ein Kanzler ohne Erinnerung. Oder ist es ihm egal? Dann fällt sicher irgendwann das Wort von der Güterabwägung. Unsere Energie ist doch wichtiger als irgendwelche indigenen Gruppen, oder? Sollen die das doch mit ihrer Regierung ausmachen.

Dass Deutschland das kunstvoll benannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auf den Weg gebracht hat zur Sicherung von sozialen und ökologischen Minimalstandards und der Menschenrechte, muss der Kanzler sicher wissen. Juristisch ist das offenbar kein Problem, denn das Gesetz soll erst nächstes Jahr in Kraft treten. Politisch ist es nicht so egal. Mag man sich vorstellen, dass irgendein Berater im Hause Scholz seinem Chef erklärt hat, warum das für Kolumbien und die Wayuu nicht gelten soll?

Skandalöse Verletzungen von Umwelt, Natur und Menschenrechten gehen bei der Ausbeutung von Ressourcen regelmäßig Hand in Hand und sind beileibe kein Einzelfall. Dass ihnen diesmal ein deutscher Kanzler mit einem Telefonat zu neuem Aufschwung verhilft, sie ausgelöst hat, zeigt Deutschlands politisches Gewicht in der Welt. Das könnte man auch anders nutzen.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Direktor des Frankfurter Zoos.

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