Kein Freund der Verbote

Philipp Krohn erklärt in seinem Buch „Ökoliberal“, wie auch Marktliberale das Klima schützen können. Die politische Medienkolumne „Polopolis“.
„Liberal“ ist in der deutschen Klimadebatte fast schon zu einem Synonym für „fossilfreundlich“ geworden. Einerseits sprechen Parteivertreter:innen der sich selbst als liberal bezeichnenden FDP in fast jedem Satz von „Technologieoffenheit“, andererseits setzen sie sich vor allem für das Auto ein. Und wenn möglicherweise ernst gemeinte Vorschläge zum Emissionshandel von Klimapolitiker:innen der Partei auf dem Parteitag beschlossen werden, werden sie noch am selben Tag von Parteichef Christian Lindner als unrealistisch abgetan.
Kann denen mal jemand erklären, dass wir mit unserem aktuellen Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstören? Und dass sie eine – wohlgemerkt glaubwürdige – Alternative vorschlagen müssen, wenn sie mit Verboten nichts anfangen können?
Philipp Krohn versucht es. In seinem Buch „Ökoliberal. Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht“ zeigt der „FAZ“-Wirtschaftsjournalist und studierte Volkswirt, wie auch Liberale die Grenzen des Planeten achten können.
Seine Kernthesen: Weder eine Umstellung der Lebensweise noch neue Technologien werden alleine dafür sorgen, dass der Planet bewohnbar bleibt, es brauche beides. Krohn stellt als Lösung eine „ökoliberale“ Herangehensweise vor, die die biophysikalischen Grenzen des Planeten respektiert. Das sei die oberste Priorität. Ob unter diesen Voraussetzungen Wirtschaftswachstum möglich ist, sei dann zweitrangig. Der Wohlstand müsse aber komplett vom CO2-Ausstoß entkoppelt werden.

Als das beste Instrument dafür sieht Krohn den Markt an. Er legt dar, warum sich die Achtung der Lebensgrundlagen und die Theorie des neoliberalen Friedrich August von Hayek nicht wiedersprechen müssen. Verbote hält Krohn nur für sinnvoll, wenn gefährliche Schadstoffe verhindert werden können, etwa im Fall der ozonschädlichen FCKW. Wenn allerdings große Mengen reduziert werden müssen, wie im Fall von CO2, sei der Markt vorzuziehen. Als konkretes politisches Instrument schlägt er – wenig überraschend – den Emissionshandel vor.
Krohn schreibt häufig aus persönlicher Sicht mit Anekdoten aus dem eigenen (Familien-)Leben, erklärt zum Beispiel den überdurchschnittlich sparsamen CO2-Fußabdruck seiner Familie. Wenn eher den Grünen zugewandte Menschen beim Lesen denken: ‚Aha, der macht sich ja die gleichen Gedanken wie wir‘, könnten sie sich ertappt fühlen, wenn der Autor die Episode seines Tweets von der Wassermelone schildert. Als Teaser für einen Artikel, in dem er für konsistentere Ideen für Kreislaufwirtschaft plädiert, schrieb Krohn 2019 auf Twitter: „Gestern Abend ist mir eine Wassermelone heruntergefallen. Im Supermarkt gab es eine Tüte, mit der ich sie nach Hause transportieren konnte. Nach dem #Plastiktütenverbot von @SvenjaSchulze68 ginge das nicht mehr. Ich bin dagegen.“ Es folgte ein Shitstorm, auch befeuert von Retweets der Grünen. Der Vorwurf, warum er denn nicht absolut immer Stoffbeutel dabeihabe, ist noch der mildeste. Krohn wendet sich gegen diese Denkweise, nach der jemand, der gegen Verbote von Plastiktüten ist, automatisch ein Umweltsünder ist.
Nach der Lektüre bleiben dennoch Fragen offen. Zwar erwähnt Krohn den britischen Historiker Timothy Garton Ash, der zum Schluss kommt, den Liberalen fehlten Antworten auf Ungleichheit. Dennoch versucht Krohn, bis auf eine kurze Erwähnung der Klimadividende, nicht, das zu ändern. Weltweit sind die reichsten zehn Prozent für die Hälfte der Emissionen verantwortlich. Durch die Ausweitung des Emissionshandels auf Heizen und Verkehr wie in der EU geplant könnte sich diese Lücke noch vergrößern – und die Akzeptanz des Klimaschutzes gefährden.
Aber auch wer zu anderen Schlüssen über Markt und Kapitalismus kommt als Krohn oder glaubt, dass es zu spät ist, um alleine die Regeln des Marktes zu ändern, nimmt konstruktive Fragen mit: Können wir die Klimakrise eindämmen, ohne die Frage nach dem besten Wirtschaftssystem mit zu beantworten? Welche Erzählung über Nachhaltigkeit spricht möglichst viele Menschen an, so dass Veränderungen nicht als Verzicht empfunden werden? „Ökoliberal“ ist ein wertvoller Beitrag zur Debatte und eine klare Leseempfehlung – nicht nur für die FDP. Friederike Meier
Ökoliberal. Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht. Frankfurter Allgemeine Buch 2023. 272 Seiten. 24 Euro.