Kein Ersatz

ChatGPT würde einen miserablen Korrespondenten abgeben. Auch wenn ein erster Test ein verblüffendes Ergebnis hat. Die Kolumne.
Ich hatte gehofft, ihn vermeiden zu können: Den Tag, an dem mir eine Redakteurin oder ein Redakteur mitteilt, dass mein Text bereits geschrieben sei – und zwar von ChatGPT, dem jungen Allround-Journalisten, Korrespondenten, Reporter und Kolumnisten in einem.
Der künstlich intelligente Kollege könnte meinen ersten Text bereits geschrieben haben, bevor ich Ende dieses Jahres freiwillig den Griffel hinwerfe. Schon diese Kolumne könnte meine letzte selbst verfasste gewesen sein – oder ist sie schon gar nicht mehr echt?
Wir Journalisten glaubten lange, von ChatGPT & Co verschont zu bleiben. Die künstlichen Intelligenzbolzen mögen John Lennons Geburtsdatum wissen oder einen Schachmeister schlagen. Aber so richtig kreativ sind sie halt doch nicht: Sie scheiden nur den von Algorithmen verdauten Datenbrei aus, der ihnen zuvor eingetrichtert wurde.
ChatGPT würde einen miserablen Afrika-Korrespondenten abgeben, bin ich mir sicher: Genauso vorurteilsbeladen wie des Volkes Stimme, mit deren Versatzstücken das Maschinenhirn gefüttert wird. Überheblich, eurozentristisch und bei Gelegenheit rassistisch: ein dumpfer „Algopopulismus“ war vorauszusehen.
Man muss inzwischen nicht mehr spekulieren, man kann es ausprobieren. Ich tippe die Frage, ob hellhäutige Menschen auch im Kopf heller als ihre dunkelhäutigen Artgenossen seien, ins ChatGPT-Hirn ein und bekomme innerhalb von Sekunden einen verblüffend ausgewogenen Essay geliefert, der mit dem Satz beginnt: „Es ist nicht richtig, Pauschalurteile über die Intelligenz von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu fällen“.
Vielleicht muss ich meine Frage raffinierter stellen: „Hat der Kolonialismus Afrika außer Leid nicht auch Vorteile gebracht?“ Erneut eine verblüffend vernünftige Antwort, die in dem Satz gipfelt: „Die negativen Auswirkungen dieser Epoche überwiegen bei Weitem die positiven“.
Wie subtil ich meine Frage auch formuliere („Warum hat Afrika so viele Probleme?“): Die Antwort fällt stets so ausgewogen wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus. „Diese Generalisierung übersieht die unglaubliche Vielfalt von Kulturen, Ökonomien und politischen Systemen des Kontinents.“
Selbst meine Beschimpfung, dass er nur ein scheißliberaler Blasengenerator sei, wehrt ChatGPT gelassen ab: „Als künstlich intelligentes Sprachmodell bemühe ich mich, alle Nutzer ungeachtet ihrer politischen Überzeugung mit vorurteilsfreien Antworten zu versorgen.“
Keine Frage: die Algorithmen leisten im Fall von ChatGPT tadellose linksliberale Arbeit. Aber was passiert, wenn Reichsbürger, Dschihadisten oder Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas den Besserwisser in Anspruch nehmen? Das werden sie nur einmal tun – und ihr Schwammhirn fürderhin selbst konfigurieren.
Und dann? Dann wird die Welt noch sorgfältiger in Denkatolle zerfetzt: Die letzte Chance vertan, dass sich Bewohner:innen verschiedener Inseln verständigen können. Mich muss das ob meiner grauen Haare allerdings nicht mehr bekümmern: Ich habe mit ChatGPT meinen Frieden geschlossen.
Schließlich spuckte er auf meine Frage nach Johannes Dieterich aus: „Ein in Nairobi lebender Afrika-Korrespondent der Deutschen Welle, der über eine weite Palette an Themen berichtet … und bereits mehrere Auszeichnungen erhalten hat“. Daran ist außer der weiten Palette alles falsch. Doch das mit den Preisen gefällt mir.
Johannes Dieterich berichtet für die FR aus und über Afrika