1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen

Julian Reichelt: Beim Sturz des Bild-Chefs läuft das Patriarchat zur Höchstform auf

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Katja Thorwarth

Kommentare

Der ehemalige „Bild“-Chef Julian Reichelt.
Der ehemalige „Bild“-Chef Julian Reichelt. © Jörg Schüler/imago

Machtmissbrauch mit sexuellem Kontext scheint für Konservative ein Kavaliersdelikt zu sein. Das zeigt nicht zuletzt die Causa Julian Reichelt. Die Kolumne.

Frankfurt - Es braucht nur ein Ereignis, um den konservativen Patriarchatsklüngel zu Höchstleistungen zu pushen. Aktuell ist es der unrühmliche Abgang des ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt, der, so heißt es, mit seiner Macht nicht habe adäquat umgehen können. Auch sei Privates und Berufliches auf unschickliche Art miteinander vermengt worden.

Reichelt, dessen Charisma stets eins zu sein scheint mit Empathiefreiheit und dem Willen nach Dominanz und egomanem Machttrieb, kann sich vor Solidaritätsbekundungen kaum retten. Was hat er denn schon großartig verbrochen, der Julian, sieht man von seinem (Ex-)Schmuddelblättchen einmal ab?

Machtmissbrauch von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt: Solidarität aus der konservativen Ecke

Im seelenverwandten Focus fragte Kolumnist Jan Fleischauer etwa, ob „eine Büroaffäre“ ausreiche, „um eine Karriere zu ruinieren“, während sie bei Springer daumendicke Krokodilstränen weinen. Von Reichelts „journalistischen Glanzleistungen“ war beim Pleite-Format Bild-TV voller Dankbarkeit die Rede, wohingegen Welt-Chef Ulf Poschardt – ganz Cleverle – das Augenmerk vom gefallenen „Freund“ wegzulenken gedachte. „Je winziger Menschen sind, umso mehr Schadenfreude“, schrieb er auf Twitter, um gleichsam die Schadenfreude als die „deutscheste der deutschen Tugenden“ zu betrauern.

Und die ziemlich rechte Werteunion (CDU/CSU)? Die dankte für „tadellose Aufklärungs- und Faktenarbeit, die in unserer Presselandschaft einzigartig“ sei, was wiederum prima zur Lobhudelei der Antifeministin Birgit Kelle passt, die in Reichelt einen „unbequemen Journalisten“ erkannt haben will.

Stellen wir zunächst einmal fest: Machtmissbrauch mit sexuellem Kontext scheint in konservativ-reaktionären Kreisen ein Kavaliersdelikt zu sein, das keinen Täter kennt, sondern selbigen als Opfer einer angeblich übermoralisierend-emanzenversifften „Cancel Culture“ ausmacht. Anders ist das Helikopter-Verhalten um Julian Reichelt nicht zu erklären.

Ex-Bild-Chef Julian Reichelt als Opfer markiert

Alleine die Poschardtsche „Schadenfreude“ impliziert, dass der Einzige, der tatsächlich Schaden genommen hat, der abgängige Bild-Chef selbst ist – und wäre das nicht zynisch, so bliebe es immer noch hilflos.

Zur Reichelt-Causa schreibt Spiegel-Kolumnistin Samira El Ouassil, „dass solche zwischenmenschlichen Dynamiken nicht in ihrer Missbräuchlichkeit wahrgenommen …, sondern als erotische Abenteuer romantisiert und zu einem gesellschaftlichen Standard verklärt“ werden. Sie liefert das Label gleich mit: „Arbeitsplatz-Sexismus“.

Tatsächlich gemahnt der gesellschaftliche Standard der Herren und Damen Reichelt-Betreuenden an den 50er-Jahre-Heimatfilm, wo der Chef die Sekretärin nach Haarfarbe einstellt und das Patriarchat sich analog zum Schweizer Frauenwahlrecht verhält. Entsprechend geht es hier um die Deutungshoheit der Konservativen, die Frauen als Opfer von Machtstrukturen als Kollateralschäden in Kauf nehmen. Da passt es nicht, wenn männlich definierte, sogenannte einvernehmliche sexuelle Handlungen in den realen Kontext gestellt werden.

Am Beispiel Julian Reichelt sieht man: Das Patriarchat hat die Gesellschaft fest im Griff

Interessant an dieser Stelle ist ein Welt-Text, in dem der Psychotherapeut Wolfgang Krüger das Problem „starke Frauen“ erörtert. Dort steht geschrieben, dass „vor allem emanzipierte Frauen“ unter den von Männern „bevorzugten weiblichen Prototypen“ leiden würden, weil sie einfach nicht mit „Girlfriend-Material“ kompatibel sind.

Danke, Springer. Ihretwegen wird immer wieder offenbar, wie das Patriarchat die Gesellschaft im Griff hat: Gefestigte Machtstrukturen und Perspektive sind immer männlich. (Katja Thorwarth ist Autorin und Onlineredakteurin)

Auch interessant

Kommentare