Intelligenz im Toilettendeckel?

Es gibt Neuigkeiten vom biologischen Reichtum. Die intelligente Toilette weiß (fast) alles. Die Kolumne „Dr. Hontschiks Diagnose“.
Heute ist Samstag, der erste April. Da ist es guter alter Kolumnistenbrauch, mit einem Aprilscherz aufzuwarten. Deswegen erzähle ich heute die Geschichte von der intelligenten Toilette: Viele der besten Wissenschaftler unseres Landes tummeln sich in den dreißig Instituten der Max-Planck-Gesellschaft. Einer von Ihnen gehört zum Stuttgarter Max-PIanck-Institut für Intelligente Systeme, und er ist sehr besorgt über den Zustand unseres Gesundheitswesens. Daher arbeitet er intensiv an dessen Umgestaltung mit Hilfe von „kostengünstigen, kompakten, massenproduzierbaren, wegwerfbaren und benutzerfreundlichen Geräten, die eine ständige Gesundheitsüberwachung für große Bevölkerungsgruppen ermöglichen.“ Was könnte er damit meinen? Und jetzt kommt der Gedankensprung, der einen normalen Wissenschaftler von einem genialen Wissenschaftler unterscheidet: Es geht um Urin!
Urin ist eine biologische Flüssigkeit, ungiftig und ungefährlich. Urin wird täglich auf der ganzen Welt von jedem Menschen und in großen Mengen produziert. Urin kann schmerzlos und ohne weitere Beeinträchtigungen gewonnen werden. Urin weist größten biologischen Reichtum auf: Urin enthält über 4500 Stoffwechselprodukte. Trotzdem wird Urin immer noch achtlos entsorgt, weggespült, weder verarbeitet noch überwacht. Toilettenbasierte Gesundheitsüberwachungsinstrumente in Form von intelligenten Toiletten könnten eine präventive, kontinuierliche, digitalisierte Information zu Hause, am Arbeitsplatz und unterwegs zur Früherkennung von Krankheiten bieten und gleichzeitig über das Internet mit Servern der künstlichen Intelligenz verbunden sein. So könnte man rund um die Uhr den Gesundheitszustand der „Nutzer“ erfassen, interpretieren und für frühzeitige Interventionen sorgen. Einen besseren Parameter für eine kontinuierliche Gesundheitsüberwachung als den Urin gibt es nicht.

Was lag also näher als die Entwicklung von intelligenten Toiletten. Das MPI in Stuttgart favorisiert ein Modell der Stanford University in Kalifornien: Eine mit Minicomputern, Minikameras und einer Reihe von Sensoren ausgerüstete Klobrille misst die Frequenz des Wasserlassens, die Urinmenge, die Dauer der Entleerung und die Flussrate, sowie Parameter wie spezifisches Gewicht, pH-Wert, Bilirubin, Leukozyten, Nitrite, Proteine, Urobilinogen, Glucose, Erythrozyten und Ketone. Die Kameras analysieren die Analrosette, die so individuell ist wie ein Fingerabdruck, und können die Befunde auf diese Weise personalisieren. Die Sensoren erkennen bislang erst zehn Krankheiten, aber die Erfinder planen längst, alle nur erdenklichen Analysefunktionen in diese intelligente Toilette zu integrieren.
In fortgeschrittener Erprobungsphase befindet sich auch der K2, ein Klobrillenaufsatz der israelischen Firma Olive Diagnostics, der im Januar 2023 auf der Consumer Electronics Show (CES), der größten Elektronikmesse der Welt in Las Vegas, für Aufsehen sorgte. Der Apparat kann an jedem Toilettentyp befestigt werden, erkennt die molekulare Zusammensetzung des Urins und erstellt individuelle Diagnosedaten, die direkt mit einer mobilen Applikation cloudbasiert online verlinkt werden. Die Individualisierung der Daten geschieht auch beim K2 mit Hilfe der Analrosette. Der K2 kombiniert Spektroskopie mit künstlicher Intelligenz, erkennt Substanzen wie rote Blutkörperchen, Eiweiße, Elektrolyte, Keton, Glukose, Kreatinin und Bakterien und lässt bei laufendem Harnstrahl eine sofortige Molekularentdeckung und darauf aufbauende Diagnostik zu. Olive Diagnostics freut sich schon darauf, das Konzept in Haushalte und Kliniken rund um den Globus einzuführen.
Die Geschichte der intelligenten Toiletten steht noch ganz am Anfang, sie ist längst nicht zu Ende geschrieben. Aber zwei Dinge stehen jetzt schon fest: Erstens hatte ich bislang unter einem Klodeckel keine Intelligenz vermutet, Intelligenz muss also ganz neu definiert werden. Und zweitens – und das ist das eigentlich Beunruhigende – ist die intelligente Toilette schon lange kein Aprilscherz mehr.