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Shell: Versprechen nur leeres Gerede

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Von: Maren Urner

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Shell-Logo an einer Tankstelle in London.
Caroline Dennett hat als selbstständige Beraterin elf Jahre lang für Shell gearbeitet und das Unternehmen in Sicherheitsfragen beraten. Jetzt hat sie „Schluss gemacht“. © Kirsty Wigglesworth/dpa/AP

Die Versprechen von Shell waren leeres Gerede. Die Beraterin Caroline Dennett setzt daher ein klares Zeichen. Die Kolumne.

Sie kann da „einfach nicht mehr mitmachen“. Unaufgeregt, aber deutlich. Ernsthaft, aber nicht verbissen. Die gut 70-sekündige Videobotschaft von Caroline Dennett ist unprätentiös. Keine perfekte Ausleuchtung, kein optimierter Hintergrund, kein aufwendiges Styling. Scheitel und Kinn der Frau mit der hellblonden Kurzhaarfrisur sind leicht abgeschnitten. Ein wenig so wie der flüchtige Blick in den Spiegel. Kurz muss ich schmunzeln. Denn genau dazu ruft die Britin vor wenigen Tagen die Verantwortlichen des Mineralölkonzerns Shell in ihrer Videobotschaft auf: „Schaut euch selbst im Spiegel an.“

Caroline Dennett hat als selbstständige Beraterin elf Jahre lang für Shell gearbeitet und das Unternehmen in Sicherheitsfragen beraten. Jetzt hat sie „Schluss gemacht“. Und das mit einem ordentlichen Rums: Neben einer Massen-E-Mail an Tausende von Verantwortlichen des britischen Konzerns, veröffentlichte sie ihre Videobotschaft im Internet. Von Beginn an habe sie Vorbehalte gegenüber Shell gehabt, weil „die Industrie viel Umweltverschmutzung verursacht hat“, das Unternehmen ihr aber glaubhaft vermittelt habe, „wirklich engagiert zu sein, die Sicherheit zu verbessern, um Zwischenfälle wie die Deepwater-Horizon-Katastrophe 2010 zu vermeiden“.

Bis Caroline Dennett nicht länger ignorieren konnte, dass Shells Aussagen, „keinen Schaden“ anrichten zu wollen und bis 2050 die Emissionen auf null zu senken, nichts als leeres Gerede sind. Denn tatsächlich plant der Konzern weiterhin, in die fossile Energieförderung zu investieren. Die satten Gewinne aus den massiv angestiegenen Energiepreisen kommen dabei gelegen.

Bis Caroline Dennett selbst nicht mehr in den Spiegel schauen konnte. Weil sie ihre Sorgen angesichts von Klimakatastrophe und düsterer Zukunftsprognosen nicht mehr mit ihrer Tätigkeit bei Shell vereinbaren konnte.

Wir alle leben unsere täglichen Paradoxe. Wir alle sind Heuchler:innen. Wenn wir beispielsweise ins Auto oder Flugzeug steigen, obwohl wir wissen, dass wir damit zur Klimakrise beitragen und unsere eigene Lebensgrundlage gefährden. Das Phänomen der kognitiven Dissonanz ist in der Psychologie gut untersucht. Es meint genau diesen Zustand, wenn wir zwei widersprüchliche Vorstellungen nicht miteinander in Einklang bringen können. Auch die Bewältigungsstrategien dafür sind gut untersucht: Wenn Schönrednerei nicht ausreicht, lenken wir uns ab, blenden aus, ignorieren oder leugnen gar.

Was hat bei Caroline Dennett das Fass zum Überlaufen gebracht? Das Video einer Protestaktion vor der britischen Shell-Zentrale, in dem Demonstrant:innen nach Insider:innen suchten, die „die Wahrheit sagen“. Das hat sie getan und Schluss gemacht.

Was, wenn wir alle Schluss machen? Schluss machen mit Jobs und Tätigkeiten, die unsere Zukunft gefährden. Schluss machen mit den endlosen Diskussionen, ob der Hafer- oder der Mandeldrink die klimafreundlichere Kuhmilch-Alternative ist. Schluss machen mit dem alleinigen Fokus auf unser Konsumverhalten. Wenn wir stattdessen in den Spiegel schauen und ehrlich fragen: Trage ich mit meiner Tätigkeit, meiner Arbeit zu einer lebenswerten Zukunft bei?

Was es dafür braucht? Eine Politik, die der Bevölkerung die Angst vorm Arbeitsverlust nimmt und stattdessen Sicherheit gibt, weil sie weiter als bis zum nächsten Shareholdermeeting denkt. Und was noch? Medien, die über die Caroline Dennetts dieser Welt berichten. Ich habe ihr Video bei Twitter mit Verweis auf einen englischsprachigen Artikel entdeckt. Fünf Tage später erfahre ich dort, dass Caroline Dennett mit Unterstützung überflutet worden sei.

Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie und Neurowissenschaften.

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