Die Frage, die ich Gio zu Beginn des Gesprächs stelle, ist für viele ungewohnt, für Jüngere jedoch gängig. Mit welchen Pronomen möchtest Du angesprochen werden? Für Gio ist das Pronomen ‚er‘ in Ordnung, besser wäre das Neopronomen ‚dey‘, das im Genitiv ‚deren‘ lautet, im Dativ ‚denen‘.
Übungshalber verwende ich dieses Neopronomen im folgenden Satz: Gio räumt ein, dass denen (ihm) selbst am Anfang Fehler bei der korrekten Verwendung dieses Neopronomens unterlaufen seien – und deshalb zeigt dey (er) durchaus Verständnis für alle, die sich damit erst vertraut machen müssen.
Nachdem diese Frage geklärt ist, entwickelt sich ein zugewandtes, freundliches Gespräch bei Hafermilch-Kakao und Cappuccino. Dass Gio sich nicht als das Mädchen fühlte, das andere in ihm sahen, zeigte sich, „sobald mir Geschlecht ein Begriff wur-de“, 12 oder 13 war Gio damals.
Sechs Jahre lang verstand sich Gio als trans Junge, fühlte sich aber nicht stimmig in schlabbrigen Jungs-Klamotten, kleidete sich dann doch wieder feminin. Die Fingernägel blieben unlackiert, um als Junge wahrgenommen zu werden. Sicher, wo sein Geschlecht zu verorten ist, „war ich mir jedoch nie zu 100 Prozent“.
Mit 21 Jahren sah Gio auf der Video-Plattform Tiktok Leute, die sich als nichtbinär bezeichneten, las sich in das Thema „genderfluid“ ein. Erstmals fand Gio damit Begriffe, die seine geschlechtliche Identität beschreiben. Es fühlte sich gut an, „andere Leute zu sehen, die sich genau so fühlen wie ich“, sich gerne schminken und ihren geschlechtlichen Raum nicht auf männliche Klischees verengen lassen wollen.
Das ohnehin reformbedürftige Transsexuellengesetz (TSG) ignoriert nichtbinäre trans Personen wie Gio, auch die Sozialgesetzgebung für trans Personen fokussiert sich auf Frauen und Männer. Für nichtbinäre trans Personen hat das erhebliche Folgen: Psychotherapeutische Unterstützung zu suchen, habe er trotz depressiver Phasen aufgegeben, die Kostenübernahme der 6000 Euro teuren Mastektomie habe die Krankenkasse abgelehnt.
An keinen Moment könne er sich erinnern, an dem er mit weiblichen Brüsten glücklich gewesen sei, so Gio. Auch den Zugang zu Testosteron, für die kör-perliche Transformation wichtig, erschwere die Krankenkassenbürokratie. „Für die existiere ich praktisch nicht.“
Den Weg, trotz dieser Widernisse voran zu kommen, macht Gio auf Tiktok öffentlich. Das gefragte Model bekam 2021 den ersten Vertrag, wird von seiner neuen Agentur auf dem „Männerboard“ verbucht. Wenn weitere nichtbinäre Models zu vermitteln sind, würde die Agentur auch ein „Nichtbinär-Board“ eröffnen.
Während der Mode- und Modelindustrie der Ruf vorauseilt, eher rückschrittliche Körper-Ideale zu unterstützen, erfährt Gio bei der Arbeit viel Unterstützung: Er wird mit den richtigen Pronomen angeredet, in seiner Identität selbstverständlich akzeptiert, und die TV-Spots mit dem nonbinären Model laufen zur besten Sendezeit. Werbung, die dem eigentlichen Fernsehprogramm gesellschaftlich vorauseilt.
Joane Studnik ist Autorin.