Geschrumpft, nicht gelöst

Der neue Nahostslogan „shrinking the conflict“ verspricht mehr als er hält. Die Kolumne.
Ein neuer Slogan geistert durch die Nahostdebatten. Er lautet: „shrinking the occupation“ oder auch „shrinking the conflict“. Geprägt hat ihn Micah Goodman, ein israelischer Philosoph und Bestsellerautor, schon vor ein paar Jahren. Inzwischen findet auch die Regierung Naftali Bennett Gefallen an der griffigen Formel vom „Schrumpfen des Konflikts“ – von „Besatzung“ spricht sie weniger gern.
So ein Aushängeschild macht sich international allemal gut. Selbst auf palästinensischer Seite hat es zunächst Interesse geweckt, ja sogar Hoffnungen. Zumal der vor mehr als einem Vierteljahrhundert in Oslo gestartete Friedensprozess grandios gescheitert und zu einem ausgehöhlten, von der bitteren Realität abgehobenen Begriff verkommen ist. Besagter Schrumpfprozess hingegen wird als Realpolitik verkauft. Bloß, bei genauerem Besehen setzt alsbald Ernüchterung ein.
Denn was sein Erfinder Micah Goodman als „out of the box“-Denken propagiert, läuft im Kern darauf hinaus, Israels Kontrolle über die besetzten Gebiete im Westjordanland auf lange Sicht hin zu manifestieren. Aber eben verfeinert, damit sie den palästinensischen Bewohner:innen nicht dauernd aufstößt. Um einen etwas krummen Vergleich heranzuziehen: So wie beim Reduzieren von Bratensaft zu einer herzhaften Sauce die Geschmacksessenzen verbleiben, würde das „Schrumpfen der Besatzung“ an den Herrschaftsverhältnissen im Wesentlichen wenig bis nichts ändern.
Konkret schlägt Goodman diverse ökonomische Erleichterungen für die Autonomiegebiete vor. Mit weiteren Tunneln und Brücken – ebenfalls keine neue Idee – ließe sich auch das elende Warten an Checkpoints vermeiden. Auf der Strecke zwischen Nablus und Hebron würden demnach Palästinenserinnen und Palästinenser israelische Soldatinnen und Soldaten gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Vieles mehr lasse sich vorstellen, so Goodman, was ihr Gefühl, sich selbst zu verwalten, stärken könne. Nur eben kein eigener Staat. Israels Sicherheit gehe nun mal vor, Militärrazzien in den palästinensischen A-Zonen sowie ständige Truppenpräsenz im Jordantal inklusive.
In solchen Schritten sieht Goodman eine pragmatische, konsensfähige Alternative zu linken Friedensutopien und nationalrechten Annexionsträumen. Den Konflikt würden sie nicht lösen, aber minimieren. Eine These, die der Erfolgsautor erstmals in seinem Buch „Catch 67“, das von den israelischen Dilemmata mit den im Sechstagekrieg eroberten Gebieten handelt, aufgestellt hatte.
Goodman selbst übrigens lebt in einer prosperierenden Westbanksiedlung. Er zählt zu den inoffiziellen Beratern von Premier Bennett, der wiederum ehemals dem Siedlerrat Yesha vorstand. Aber auch dessen Vize, Außenminister Jair Lapid, ein Mann der Mitte, hält große Stücke auf Goodman. Er nennt ihn „unseren Parteiideologen, obwohl er kein Mitglied ist“.
Ihre von links bis rechts zusammengebackene Achtparteienkoalition ist als „Regierung des Wandels“ angetreten. Dass sie, worauf Washington drängt, in der Siedlungspolitik auf Provokationen verzichtet, hat sich allerdings als Fehlanzeige entpuppt.
Gerade erst wurde grünes Licht für über 3000 zusätzliche, teils tief im Westjordanland geplante israelische Wohneinheiten erteilt. Wenngleich versehen mit dem Feigenblatt, dort auch 800 palästinensische Neubauten zu erlauben. Tatsächlich geschrumpft sind bislang nur die Illusionen, die bunte Bennett/Lapid-Truppe hielte sich im Nahostkonflikt zumindest zurück.