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„Football‘s staying home“: Fußball wäre besser ganz ohne Auswärtsfans

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Von: Michael Herl

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Wenn es keine Gästefans mehr gäbe, könnten Polizeikräfte Überstunden abbauen. Das Klima würde auch geschützt, weil weniger gefahren würde. Die Kolumne.

Frankfurt – Eigentlich ist Fußball ja ein netter Zeitvertreib. Andererseits übernahm er schon immer Aufgaben, die einem drögen Ballsport nicht zustehen. „Was erlaube Fußball“, könnte man da in Anlehnung an die Worte eines berühmten italienischen Weltendeuters sagen. In der Tat ist es phänomenal, was es bewirken kann, wenn 22 Männer anderthalb Stunden lang einen Ball hin und her treten. Das ist so interessant, dass ihnen Tausende zusehen, dabei schreien und hüpfen und Bratwürste essen und Bier trinken.

Nicht nur das. Für viele ist der Fußball bedeutender als eine Religion. Denn wer schläft schon in Bettwäsche mit dem Wappen des Papstes? Der Fußball kann noch mehr. So gelang es im Jahre 1954 einem einzigen gewonnenen Spiel, das Gewissen eines ganzen Tätervolks zu reinigen. „Wir sind wieder wer“, behaupteten Millionen Deutsche nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft. Eine Entnazifizierung in neunzig Minuten, solche Wunder vermag tatsächlich nicht einmal der Pontifex zu vollbringen.

Sollte man Fußballspiele nicht generell ohne Auswärtsfans austragen?  In Griechenland und der Türkei ist das nicht unüblich – und siehe da, es geht. Die Chancengleichheit wäre garantiert, ebenso die Sicherheit der Fans. Zudem könnten jede Menge Polizeikräfte ihre unzähligen Überstunden abfeiern ...
Sollte man Fußballspiele nicht generell ohne Auswärtsfans austragen? © Christoph Reichwein/dpa

Mehr als ein Spiel: Fußball zwischen Gewalteskalation und Gewinnmaximierung

Fußball ist also nicht nur schön, sondern auch gefährlich. Seine mystische Strahlkraft verleitet dazu, ihn misszuverstehen. Gerade in heutigen Zeiten, wo viele nach einfachen Lösungen komplizierter Probleme lechzen, scheint das simple Ballspiel eine dafür prädestinierte Kompensationsfläche zu bieten. „Wichtig is‘ auf’m Platz“, befand einst Trainerlegende Adi Preißler. Dass diese Weisheit tatsächlich nur auf dem Platz gilt, wird leider immer öfter missachtet, von Fans wie von Funktionären. Die einen sehen das Spiel zunehmend als Instrument der Gewinnmaximierung, die anderen als Medium des Protests gegen die Gesamtsituation. Die Folgen sind bekannt.

Raffgeier wie Fifa-Fußball-Weltboss Gianni Infantino haben bei ihrer Wiederwahl nicht mal einen Gegenkandidaten, während Ausschreitungen bei Spielen immer alltäglicher und brutaler werden. Dass etwa ein Fotograf, wie vergangenen Samstag in Gelsenkirchen, von einer Pyro-Fackel getroffen in Flammen steht, erscheint nur noch als Nebennotiz, und dass, wie unlängst in Marseille, ein Zuschauer von einer Leuchtrakete fast getötet wird, ruft zwar Bestürzung hervor – mehr aber nicht.

Sollte man Fußball künftig nur noch ohne Auswärtsfans stattfinden lassen?

Laut hingegen ist die Kritik an den italienischen Behörden, die nun Auswärtige bei einem Spiel in Neapel ausschließen wollen. Man könne für deren Sicherheit nicht garantieren, hieß es. Sorry, liebe Fans, aber ich halte das für vernünftig. Neapel und Marseille sind nicht Bielefeld oder Regensburg. Auswirkungen sozialer Ungerechtigkeiten sind dort (noch) viel krasser als hierzulande, entsprechend die Wut vieler Betroffener. Wo sich Polizisten ohne entsicherte Waffe nicht einzugreifen trauen (wie in Marseille geschehen), ist das Wohl bierseliger deutscher Fußballbegeisterter nur schwer zu schützen.

Am Ende wäre sogar zu überlegen, ob man Fußballspiele nicht generell ohne Auswärtsfans austragen sollte. In Griechenland und der Türkei ist das nicht unüblich – und siehe da, es geht. Die Chancengleichheit wäre garantiert, ebenso die Sicherheit der Fans. Zudem könnten jede Menge Polizeikräfte ihre unzähligen Überstunden abfeiern – und wenn Zigtausende von Fußballfreundinnen und -freunden nicht mehr jede Woche kreuz und quer durch die Gegend reisen, wäre dies auch kein Schaden für die Umwelt.

Michael Herl ist Autor und Theatermacher.

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