Freundlichkeit nicht unterschätzen

Herausfordungen fordern Antworten. Mit einem „Weiter so“ lassen sich die Krisen aber nicht bewältigen. Die Kolumne.
Wie das Jahr 2023 wohl werden wird? Das habe ich mich in meiner letzten Kolumne gefragt. Ich wollte auf ein gesellschaftliches Besser hoffen und hatte vor, das Jahr mit einem konstruktiven Text zu starten. Nicht einfach. Aber auf Reisen lässt sich das Zuhause mit Abstand reflektieren. Und so erlebe ich gerade, wie wir in globaler Verbindung stehen: geschichtlich wie gegenwärtig. Wie sich überall die Folgen der Klimakrise und die sozialen Folgen von Ungerechtigkeit zeigen – nur eben anders.
Immer klarer wird, dass es nicht nur darum geht zu verstehen, was in der Welt passiert, sondern darum, falsche Vorstellungen zu verlernen, an denen sich viele festhalten, um daran zu glauben, dass alles gut ist, wie es ist. Aber vieles ist eben nicht gut, muss sich ändern und wird es auch. Zumindest das ist gewiss zum Jahresstart, der wenig konstruktiv begann mit einer Debatte über Integration und Protest in Lützerath. Dazu kommt, was uns aus 2022 geblieben ist: Der Ukraine-Krieg, der Kampf um Freiheit im Iran, Menschen auf der Flucht und die Care-Krise.
In vielem spiegelt sich der Zustand der Überforderung wider. Weil sich bereits mit der Pandemie Klarheiten, Planbares und das Gefühl „westlicher“ Sicherheit verabschiedet haben. Mehr und mehr Menschen spüren die Verletzlichkeit und den Verlust der Sorglosigkeit, der für andere schon lange alltäglich ist.
Die Nachrichten abzuschalten, ist keine Lösung. Vielmehr kann ein Kompass sein, sich unserer Vergangenheit und unerzählter Zusammenhänge zu widmen. Dafür braucht es Zeit, ein Privileg. Und es braucht Hoffnung, weil die eine starke Motivation ist.
„Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere“, erklärte es einmal der Philosoph Jean-Paul Sartre. Es kommt also darauf an, wie Menschen handeln. Ignoranz ist das größte Hindernis für Klärung. Wenn gerade Weltgeschichte geschrieben wird, wie viele sagen, dann sind es ihre Ambivalenzen, die wir spüren.
Wie also weiter? Freundlichkeit wird als politische Praxis unterschätzt, sagte kürzlich die Theaterregisseurin Simone Dede Ayivi. Nutzen wir sie. Schließlich haben Gefühle gesellschaftliche Veränderungen immer begleitet.
Es sind Zustände, die sich durch die Kulturgeschichte spielen lassen: epochale Umbrüche, Revolutionen, Kriege. Menschen haben dabei immer verarbeitet: haben verharrt, sind weitergegangen, haben sich abgegrenzt und verbunden. Identitäten verändern sich und entstehen neu.
Zu wissen, dass Veränderung stetig ist, kann ein sicherndes Gefühl geben. Denken wir dynamisch, riet der Soziologe Armin Nassehi bei den Römerberggesprächen, als es um die Frage von Nutzen und Erwartungsmanagement in unkalkulierbaren Zeiten ging. Es lässt sich dabei viel von Menschen lernen, die Widerstandspotenziale in Krisen entwickelten. Bewegung entsteht, wenn wir loslassen. Diese Richtung einzuschlagen, wäre konstruktiv.
Sehen wir es also positiv. Wir sind in einer Zeit größerer Wahrnehmung angelangt. Es wäre auf mehr Weitsicht zu hoffen. Dass Emotionale mit dem Rationalen zu verbinden und etwa zu klären, was eine feministische Außenpolitik in Deutschland bedeutet.
Die Klimakrise und Gerechtigkeitsfragen brauchen einen ernsthaften Platz in unserer Mitte. Dazu sollten Kritiker:innen struktureller Probleme mehr in die institutionelle Arbeit eingebunden werden. Ein emanzipativer Fortschritt wäre es, Identitätsdebatten als Form einer „Konsequenz Kultur“ anzuerkennen.
Was bedeutet, dass Menschen lernen, die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen. Es wäre der Weg zu einem neuen, gemeinsamen Konsens, der mehr Menschen mit einschließt, damit sich niemand mehr gecancelt fühlen muss. Das wäre was!
Hadija Haruna-Oelker ist Politikwissenschaftlerin, Autorin und Moderatorin.