Feminismus ernst nehmen

Gleichberechtigung bedeutet, sie nicht nur äußerlich vorzugeben. Es geht um mehr – etwa um gleiche Bezahlung. Die Kolumne.
Die Leitlinien des Auswärtigen Amtes, die Annalena Baerbock mit einwöchigem Vorlauf zum Internationalen Frauentag am Mittwoch vorgestellt hat, finde ich gut. Und zwar alle Mann, um es mal politisch unkorrekt und pauschal zu sagen. Die Richtung stimmt, von der Quote im eigenen Haus bis zur Frage nach der Situation von Frauen bei der Verteilung von Hilfsgeldern. Es ist ein menschliches, faires, alltagsbewusstes und überfälliges Programm. „Feministisch“ würde ich es insgesamt nicht unbedingt nennen.
Ich weiß, dass heutzutage Genderneutralität das große Ding ist. Aber für mich bedeutet „feministisch“, nicht nur äußere Gleichheit vorzugeben, sondern es Frauen auch aktiv zu ermöglichen, diese gleichen Rechte wahrzunehmen. Beziehungsweise allen Menschen mit biologisch weiblichen Körpern, egal, als was sie sich identifizieren, und allen, die als Frauen gelesen werden.
„Wenn Frauen nicht sicher sind, dann ist niemand sicher“ – dieser Satz einer Ukrainerin habe sie sehr bewegt, sagte Annalena Baerbock am Mittwoch. Als Mutter zweier Töchter weiß ich: Frauen sind in Deutschland nicht sicher. Abends auf der Straße, in Zügen oder am Arbeitsplatz sind Frauen, wenn sie jung sind, Beute.
Und wenn sie etwas älter und vielleicht Mütter werden, hilft ihnen keine Vaterzeit bei der Bewältigung der körperlichen Folgen von Schwangerschaft und Geburt. In den ersten drei Jahren nach jedem Kind zwei Stunden weniger Arbeit am Tag bei vollem Lohnausgleich: Das wäre für mich feministische Politik.
Oder eine „Ja heißt Ja“- anstelle einer „Nein heißt nein“-Gesetzgebung. Dann nämlich müsste nach möglicherweise nicht einvernehmlichen sexuellen Kontakten der mutmaßliche Täter nachweisen, dass ihm sehr wohl Einverständnis signalisiert worden sei. Tatsächlich ist es in Deutschland so, dass das körperlich meist unterlegene mutmaßliche Opfer nachweisen muss, dass es sich heftig gewehrt habe.
Als Gründer einer „Gesellschaft zum Schutz vor Gewalt gegen langhaarige Männer“ wurde der damals 17-jährige David Bowie 1964 in einem BBC-Interview nach Sexismus gegen Langhaarige befragt und antwortete: „Seit zwei Jahren müssen wir ertragen, dass wir auf der Straße ‚Darling!‘ genannt werden – das muss jetzt endlich mal aufhören!“
Sein Schluss, dass die Gesellschaft lernen müsse, dass auch Männer lange Haare tragen, mag damals progressiv erschienen sein. Von heute aus gesehen beschreibt das perfekt die Falle, in der der Feminismus inzwischen sitzt. Denn was wirklich aufhören muss, ist die Frechheit. irgendjemanden, von dem man annimmt, dass er sich nicht wehren wird, auf der Straße „Darling“ zu nennen.
Einen Tag vor dem Frauentag, am 7. März, ist dieses Jahr in Deutschland Equal-Pay-Day: der Tag, bis zu dem Frauen unentgeltlich gearbeitet haben, wenn man den Durchschnittsverdienst aufs Jahr gerechnet berücksichtigt. Wie wäre es denn mit einer „Gerecht heißt gerecht“-Politik? Wenn Unternehmen und vor allem öffentliche Institutionen jährlich nachweisen müssten, Frauen nicht zu benachteiligen, ließe sich gleiche Bezahlung sicher schnell umsetzen.
Dass Außenministerin Baerbock auf ihren Reisen über die Angebote von Hygieneartikeln in ihren Hotels Buch führt, wie sie am Mittwoch enthüllte, beweist zweifellos ihre Leidenschaft für das Thema. Gemessen an neun Wochen unbezahlter weiblicher Arbeit in Deutschland sind solche Strichlisten aber eher ein skurriles Hobby.
Petra Kohse ist Theaterwissenschaftlerin, Kulturredakteurin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.