Exklusivität ist von gestern

Unser Gehirn verleitet uns zur Ausgrenzung. Dabei besteht echter Egoismus darin, zu kooperieren, schreibt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Die Kolumne.
Wir alle lieben sie: die exklusiven Angebote, die exklusiven Einladungen, die exklusiven Veranstaltungen, die nur für uns bestimmt sind. Sie geben uns Zugang zu etwas Besonderem und signalisieren unsere Einzigartigkeit. Vor allem steht „exklusiv“ aber für eines: Ab- und Ausgrenzung. Wer exklusiv unterwegs ist, kann nicht gleichzeitig inklusiv sein.
So richtig bewusst wird mir das während eines gemeinsamen Spaziergangs mit einer guten Freundin. Wir nutzen die Pause auf einer Konferenz im Norden Italiens, um durch die engen Gassen der historischen Altstadt zu schlendern. Das, was die Konferenz für uns auszeichnet, ist ihr inklusiver Charakter: Hier spielen Herkunft, Hautfarbe und Hintergrund für ein paar Tage keine Rolle.
Die unterschiedlichsten Menschen aus der ganzen Welt kommen einmal im Jahr zusammen, um sich über die Zukunft des Journalismus auszutauschen. Und doch: Wer schaut nicht ab und zu nach der Farbe des Umhängeschildchens, das alle Teilnehmenden zugleich verbindet und doch auch trennt? Denn die Farbe des Schildchens markiert, ob jemand „Speaker“ ist oder nicht.
Der Impuls, sich abgrenzen zu wollen, ist wie ein Jucken, das uns überkommt und von dem wir schwer die Finger lassen können. Aber ähnlich wie ein Kratzen blutig enden kann, endet das Jucken nach Exklusivität mittel- und langfristig nicht gut. Nein, auch nicht für uns selbst. Denn: Exklusivität fühlt sich immer nur kurzfristig gut an. Um das wirklich zu verstehen, hilft – wie fast immer – ein Blick in unsere Köpfe. Genauer gesagt, ein Blick auf die Funktionsweise unseres Gehirns, das für das Jucken verantwortlich ist.
Unser Gehirn liebt Gruppen. Es gruppiert immer und überall. Frau vs. Mann, alt vs. jung, Blazer vs. Jogginghose. Warum? Weil Zugehörigkeit unserem Gehirn Sicherheit signalisiert, und die wiederum ist grundlegend, um zu überleben. Mit anderen Worten: Wer mir ähnlich ist, stellt eine geringe Bedrohung da, und ich bin leichter bereit zu vertrauen.
Genau das zeigen uns zahlreiche Studienergebnisse der letzten Jahrzehnte: Fühlen wir uns Menschen zugehörig, hören wir ihnen länger zu, glauben ihren Aussagen eher und investieren bereitwilliger Geld in ihre Vorhaben. Das Gefühl von Zugehörigkeit ist also ein Motor für kooperatives und damit überlebensförderndes Verhalten. Auch Letzteres ist längst bekannt: Wer kooperiert, ist erfolgreicher und überlegt länger. Anders formuliert: Echter Egoismus besteht darin zu kooperieren.
Das Problem: Wir erzählen uns gesellschaftlich noch immer andere Geschichten. Geschichten, die uns weismachen, dass wir am besten unsere eigenen Interessen verfolgen, indem wir uns ab- und andere ausgrenzen, indem wir exklusiv sind. Geschichten, die uns unser Jucken bedienen lassen. Geschichten, die uns nach dem kurzfristigen Kick streben lassen.
Das macht uns mittel- und langfristig nicht nur unglücklich und häufig krank, sondern sorgt „ganz nebenbei“ auch dafür, dass wir auf dem besten Wege sind, unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören. Und das alles, weil wir es nicht geschafft gehabt hätten, unser Jucken auszuhalten und unser Verständnis vom guten, erfolgreichen Leben auf den neuesten Stand zu bringen?
Immerhin: Noch ist es nicht zu spät, unseren Geschichten ein Update zu verpassen. Ein Update, das uns begreifen lässt, dass wahrer Erfolg darin besteht, inklusiv zu sein. Am einfachsten gelingt das, indem wir unser (noch) fremdes Gegenüber fragen: Was verbindet mich mit dir?
Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie und Neurowissenschaftlerin.