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Ersatzdroge Zucker

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Von: Michael Herl

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Süß ohne Ende.
Süß ohne Ende. © Henning Kaiser/dpa

Ein Werbeverbot für Waren mit dem Süßstoff ist zu wenig. Nur ein Verbot würde helfen. Die Kolumne.

Eigentlich werden ja alte Hausrezepte viel zu wenig beachtet. Was Großmutter noch wusste, geriet in Vergessenheit und kann auch durch noch so viel Influenzerei im Weltnetz nicht ersetzt werden.

Bedenken muss man allerdings, dass sich etliche der Tipps längst überholt haben. So begründen sich viele der alten Warnungen auf die dürftigen Kühlmöglichkeiten in früheren Zeiten. Zum Beispiel hieß es, man solle Leberwurst nicht zusammen mit Milch zu sich nehmen.

Klingt eigenartig, ist aber logisch. Beide sind leicht verderblich. Ist aber die Wurst schon grenzwertig mit Bakterien belastet, kann unser Magen das vielleicht gerade eben noch verkraften. Kommt dann aber noch ein Schoppen angeschimmelte Milch dazu, macht er schlapp und streckt uns nieder.

Darin begründet sich womöglich auch das biblische Verbot, ein Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen. Heute aber haben wir Kühlschränke, also dürfen wir Lammfilets voller Wonne mit einer schönen Joghurt-Knoblauchsoße genießen. Gott sei Dank.

Doch nicht alle alten Weisheiten haben sich überlebt, manche sind gar aktueller denn je. Man denke nur an die Kraft der Heilkräuter. Schließlich basieren viele moderne Medikamente auf künstlichen Nachbauten seit Urzeiten bekannter pflanzlicher Wirkstoffe.

Und die Pharmakonzerne beschäftigen Leute, die in allen Winkeln der Welt herumkriechen und bei Naturvölkern nach Substanzen suchen, die sich für eine industrielle Verwertung eignen. Andererseits bedarf es bei etlichen der einst gültigen Lehren nur einer guten Portion gesunden Menschenverstands, sie doch eher skeptisch zu sehen.

Dass zum Beispiel ein Hanftee unruhigen Kindern zu einem seligen Schlaf verhilft, stimmt wohl, dennoch ist davon abzuraten – zumal die Methode aus einer Zeit stammt, als dem hierzulande angebauten Nutzhanf noch nicht das Tetrahydrocannabinol weggezüchtet war. Die Kleinen waren also nicht beruhigt, sondern bekifft. Ähnlich wie jene, denen man des Abends einen guten Schluck Bier oder eine kleine Rieslingschorle in die Nuckelflasche füllte.

Doch es gab nicht nur Hausrezepte zum Einschlafen. „Blut eines müden Stieres“ hieß in ländlichen Regionen Nordspaniens ein Shot aus Rotwein und Eigelb, den man seinen Sprösslingen zur morgendlichen Ertüchtigung gab. Erst als nach der Einschulung auffiel, dass sich die rotzbesoffenen Kleinen mit der Bewältigung des Curriculums doch etwas schwertaten, ließ man von dem Brauch ab.

Cannabis und Alkohol sind heute für Kinder verboten. Das ist gewiss kein Fehler – aber auch nicht mehr nötig, denn man führte eine Ersatzdroge ein: Zucker. Was einst als Kolonialprodukt teures Mangelgut war, ist heute ein billiges Allerweltsprodukt und fetter Gewinnbringer der Lebensmittelindustrie. Dass diese zusammen mit dem Handel (Stichwort „Quengelware“) immer neue und immer perfidere Kniffe erfindet, sich an der Zuckersucht der Kinder und später der Erwachsenen fett und kugelig zu verdienen, ist längst bekannt.

Daran würde der Plan unseres Landwirtschaftsministers Cem Özdemir, die Werbung für Zuckerprodukte zeitlich einzuschränken, auch nichts ändern. Helfen würde ein knallhartes Verbot. Doch das wäre mit der Zuckermafia nicht zu machen. Und mit der FDP erst recht nicht.

Michael Herl ist Autor und Theatermacher.

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