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Eine große Eselei

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Von: Manfred Niekisch

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Ein Grautier.
Ein Grautier. © Alberto Menendez/imago

Die Grautiere sind für Menschen nutzlos geworden – im täglichen Leben und in der Sprache. Nur ein Teil von ihnen ist nach wie vor begehrt, doch da liegt eigentlich das größte Drama. Die Kolumne.

Bekanntermaßen hatten sie einen Streit, der Kuckuck und der Esel. Zumindest behauptet das ein altes Kinderlied. Auf aktuelle Diskussionsrunden im Vorfeld der Bundestagswahl lässt sich damit nicht anspielen, denn bei den beiden Tieren ging es ja nur darum, wer schöner sänge. Auch sind an diesem Sängerstreit, glaubt man dem Wortlaut der Volksweise, nur männliche Wesen beteiligt, und es geht auch nur um zwei Kandidaten, wobei diese schließlich gemeinsam schön und lieblich klingend singen. Auch zeitlich fällt es heraus, denn das Ganze begab sich ja zur schönen Maienzeit. Scheinschlüsse und Primitiv-Assoziationen zu derzeitigen politischen Veranstaltungen verbieten sich also gleich mehrfach.

Einmal abgesehen vom Kuckuck, der seinen Ruf ambivalent als Verkünder des Frühlings und hinterhältiger Brutparasit angesiedelt sieht und möglicherweise etwas weiß, hat der Esel vielfältig mit den unterschiedlichsten Redewendungen in den Sprachgebrauch Eingang gefunden. Das zeigt die große Bedeutung, die dieses Haustier einmal genoss.

Allerdings strotzen diese Erwähnungen eher nicht von Anerkennung, sondern zielen auf Dummheit ab. Selbst die positive Eigenschaft der Geduld verliert ihre positive Konnotation, wenn sie von der Engelsgeduld zur Eselsgeduld wird. Und es ist der dümmliche Übermut, der den Esel dazu verleitet, aufs Eis zu gehen, nur weil es ihm zu gut geht. Wohl niemand hat sich Gedanken gemacht, wie man ihn da wieder herunterbekommt. Denn die Überlegungen zur Rettung eines Tieres von der Eisfläche beziehen sich stets auf die Kuh.

Dabei hat sich der Mensch in den vergangenen Jahrtausenden so viel Mühe gegeben, ganz unterschiedliche Formen und Rassen zu züchten, je nach Region und Nutzungsansprüchen. Vom riesigen französischen Poitou-Esel, der für schwere Feldarbeit gezüchtet wurde, bis hin zum zwergenhaften Kneehi, der eher eine Spielerei ist. Inzwischen sind Esel in weiten Bereichen nutzlos geworden und so droht ihnen das Aus.

Selbst dem Inbegriff des umweltfreundlichen und der menschlichen Gesundheit dienlichen Transportmittels, dem Fahrrad, geht sein Bezug zum langohrigen Grautier verloren. Wer mag schon angesichts all der ausgetüftelten E- und Nicht-E-Bikes, BMXe, Aluminiumgestelle, Reifensorten, Gangschaltungen noch vom biederen Drahtesel reden. Das Wort hat ausgedient wie seine ursprünglichen Namensgeber.

Überleben werden sprachlich vielleicht die Brücken, die man einst den Tieren baute, da sie wasserscheu sind und die einem helfen, sich an manche Dinge zu erinnern, die sonst in der Informationsflut unterzugehen drohten. Und natürlich die Eselsohren. Dem einen sind sie billiges Lesezeichen, dem Bibliophilen aber sind sie den Buchseiten angetane blanke Gewalt.

Jedenfalls wachsen die Esel wegen ihres Bedeutungsverlustes im täglichen Leben aus dem Sprachgebrauch heraus. Einen großen Bedeutungszuwachs haben sie in der chinesischen Medizin, für die jährlich mehrere Millionen Tiere gebraucht werden. Tot, denn aus der Eselshaut wird Ejiao gewonnen, ein Mittel für die männliche Potenz und gegen Akne. Das ist nicht nur eine Eselei, sondern das allergrößte Drama für die Eselspopulationen weltweit.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor. Foto: Michael Schick
Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor. © Michael Schick

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