Ein einziger Satz: „Wir werden ärmer werden“

Robert Habeck spricht Klartext. So etwas haben wir selten in unserem vom Wohlstand verwöhnten Land von einem Politiker gehört. Die Kolumne.
Frankfurt - Eigentlich wäre dieser Satz doch ein gefundenes Fressen gewesen. Die Hyänen der asozialen Netzwerke hätten ihn zerfetzt und verschlungen und anderorts als bröckeligen Schleim wieder ausgespien, die virtuellen Geier die übrig gebliebenen Knochensplitter zerpflückt, gefressen und halb verdaut weit übers Land verteilt wieder ausgekotet, und über die Reste hätten sich schließlich die digitalen Mikroben hergemacht und dafür gesorgt, dass im Universum der Schädlinge und Schadenfrohen nichts von dem einst so stolzen Satz übrig bleibt.
Robert Habeck zum Ukraine-Krieg: Es reicht ein einziger Satz
Doch es geschah – nichts. Dabei hatten alle den Satz gehört. Er wurde weder hinter den berühmten verschlossenen Türen vertraulich geflüstert (um „durchzusickern“ und tags drauf in dicken Lettern auf den Titelseiten der Populistenpresse zu erscheinen), noch entstammt er einer „nur für den internen Gebrauch“ erstellten Studie. Er wurde in breitester Öffentlichkeit deutlich und eindringlich gesprochen, nämlich im „Heute-Journal“ des Zweiten Deutschen Fernsehens. Am Mittwoch vergangener Woche. Abends zur besten Sendezeit.
Der Satz kam aus dem Mund Robert Habecks und lautete schlicht und unverblümt: „Wir werden ärmer werden.“ Auf unser Land komme ein Schock zu, orakelte der Bundeswirtschaftsminister, Deutschland sei eine Wirtschaftskriegpartei, und deswegen hätten wir einen hohen Preis zu zahlen. Bumm, da war es gesagt. Habeck fügte noch hinzu, das ukrainische Volk habe einen ungleich größeren Obolus zu entrichten, denn es zahle mit Blut und Leben.
Und wir müssten uns vorsehen, nicht die Schwächsten unserer Gesellschaft am stärksten zu belasten. Die Grundaussage aber war etwas, das wir in unserem wohlstandsverwöhnten Land von einem verantwortlichen Politiker selten gehört haben. Wir werden ärmer werden.
Folgen des Ukraine-Kriegs: Apokalyptische Vorhersage von Robert Habeck
Warum aber wurde diese apokalyptische Voraussage so teilnahmslos aufgenommen? Warum erdröhnte kein Geschimpfe und Gemaule, warum gab es keine Rufe nach Rücktritt oder wenigstens einen Shitstorm? Weil der Satz entwaffnend wahr ist. Weil selbst die hartnäckigsten Bild-Zeitung-Gläubigen insgeheim spüren, dass wir schon lange über unsere Verhältnisse leben und dass es jetzt mal genug ist mit dem süßen Sein auf Kosten anderer.
Außerdem tat Habeck das, was viele fordern und was in den vergangenen zwei Jahren als einziger Karl Lauterbach tat und damit selbst bei jenen Sympathien einfuhr, die das nicht gerne zugeben: Er sprach Klartext. Er druckste nicht um den heißen Brei herum, auch auf die Gefahr hin, nicht geliebt zu werden. Gleichzeitig kassierte er mit seinem „Wir werden ärmer werden“ alle Forderungen, die bislang den Grünen Ungemach eingebracht hatten.
Folgen des Ukraine-Krieges: FDP hat den Schuss nicht gehört
Etwa nach einem „Veggie-Day“, nach höheren Benzinpreisen, nach Verzicht auf das tägliche Schnitzel, nach Regulierung der Billigfliegerei oder gar nach einem Tempolimit. All das impliziert nämlich dieser eine Satz. Denn wer ärmer ist, fährt gar nicht oder langsamer Auto, reist nicht mehr dreimal im Jahr in Urlaub und isst weniger Fleisch.
Bedauerlich, dass uns erst ein Krieg auf den Pfad der Vernunft führt. Und dass die FDP noch immer den Schuss nicht gehört hat und weiterhin unverdrossen von Torheiten wie freier Fahrt für freie Bürger faselt. Sie tut sich damit keinen Gefallen.
Michael Herl ist Autor und Theatermacher.