Die diebische Elster

Eine Oper prägt unser Bild von dem Tier. Dabei sind manche Nesträuber gar keine, und Eichhörnchen sind eher Opfer als Täter.
Jetzt geht es wieder los, das Gejammere derer, denen die Elstern im Garten die geliebten Singvogelnester plündern. Alle Jahre wieder zu Beginn der Brutzeit.
Wir übersehen mal den kleinen Lapsus, dass die Elster selbst zu den Singvögeln gehört. Das hört man ihr zwar nicht an, bei ihrem Tschackern und Krächzen, aber es ist so. Hätten sie nicht so einen schlechten Ruf, würden vielleicht viele immer noch elsternfeindlich eingestellten Menschen die glänzend blauschwarz und weiß gefärbten Vögel sogar schön finden.
Mit seiner Oper „Die diebische Elster“ hat Gioachino Rossini dem Tier einen Bärendienst erwiesen. Denn darin wäre ein nettes, unschuldiges Mädchen beinahe hingerichtet worden, weil man ihr den Klau eines Silberlöffels unterstellte. Doch der war von der „gazza ladra“, also der diebischen Elster, gestohlen worden, was gerade noch rechtzeitig bemerkt wurde.
Da treffen sich irgendwo die Geister von Steven Spielberg und Rossini, denn auch Ersterer hat ein nicht geringes Verdienst am miserablen Ruf eines anderen Tieres, des weißen Hais. Die sensationalistischen Bilder des Films schwirren fast unauslöschlich in den Köpfen der Badenden fort. Dem können gestiegenes Wissen um die Biologie und den Bedrohungsstatus der Haie anscheinend keinen Abbruch tun, so seicht die Handlung auch sein mag. Immerhin ist die Oper Rossinis dagegen ein musikalischer Genuss und sie ist ja auch eine opera semiseria, nicht ganz so ernst gemeint. Und was das Image der betroffenen Tiere angeht, ist sie sicher weit weniger wirkmächtig als das vielgesehene filmische Machwerk.
In den vergangenen mehr als zweihundert Jahren seit der Uraufführung der Oper, für die sie zur Titelfigur auserkoren wurde, ist die Elster zunehmend in menschliche Siedlungsbereiche vorgestoßen. Zu sehr hat sich ihr früherer Lebensraum der Wald- und Feldgehölze verändert. Doch es gibt keine Studie, die nachweist, dass dieser Vogel wirklich die Bestände der anderen Piepmätze schädigt, denen man ihren Singvogelcharakter tatsächlich anhört.
Trotzdem hallt immer wieder der Ruf durch die Lande, die Elstern müssten, weil sie Nesträuber sind, dezimiert werden. Dabei richten wildernde Hauskatzen (und, gendergerecht präzise, auch -kater) gerade im Siedlungsbereich viel mehr Schäden an den brütenden gefiederten Freunden und ihrem Nachwuchs an. Auch die Eichhörnchen plündern Nester, doch der Ruf, sie zu erschlagen, erschallt kaum. Kindchenschema und Niedlichkeitsfaktor spielen da wohl eine schützende Rolle.
Und das ist gut so, denn die Eichhörnchen sind ebenfalls nicht schuld am Rückgang der Singvögel. Im Gegenteil werden sie besonders zur Paarungszeit selbst häufig Opfer von Hauskatzen. Die wären mit einem Glöckchen um den Hals gleich weit weniger erfolgreich bei der Jagd nach allem, was sich freilebend in der Stadtnatur tummelt.
Man kann im Garten, im Wohnumfeld unendlich viel tun, um den bedrohten Singvögeln zu helfen. Dafür genügt schon ein bisschen Verhau im Garten, Wildwuchs auf der Garageneinfahrt, ein Insektenhotel auf dem Balkon, die Schaffung von Nistmöglichkeiten, der Verzicht auf Gift rundherum. Elstern und Eichhörnchen kann man folglich getrost in Ruhe leben lassen und, mehr noch, sich an ihnen erfreuen. Immerhin ein kleiner Lichtblick bei all den großen Problemen dieser Zeit.
Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.