Die bedenkliche Strategie der CDU

Verantwortliche der C-Partei kritisieren die Flüchtlingspolitik. Sie wollen das Thema für den Wahlkampf nutzen. Die Kolumne.
Es häufen sich ungewohnt deutliche Medienauftritte. Mal ist es der Landrat der Bergstraße, mal der aus der Wetterau. Mal einer aus Sachsen, mal einer aus Mecklenburg. Letzterer ist der, der sein lokales Unterbringungsproblem für Geflüchtete durch eine besonders große Containersiedlung am Rand eines besonders kleinen Dorfes lösen will.
Der Tenor ist immer der gleiche: Verantwortliche der Kommunalpolitik erklären sich überfordert durch die gestiegenen Geflüchtetenzahlen. Sie sagen, die Stimmung in der Bevölkerung drohe zu kippen. Sie sagen, sie bräuchten mindestens mal mehr Geld vom Bundesinnenministerium. Viele sagen aber auch mit besonderer Betonung, die Bundesinnenministerin und ihr Kanzler sollten endlich konsequenter für mehr europäische Abschottung und Abschiebung sorgen. Sonst, siehe oben, werde die Stimmung kippen.
Das Interessante an dieser Offensive: Bei denen, die über Finanzforderungen hinaus eine andere politische Linie wollen, handelt es sich durchweg um CDU-Leute. Flankierend tritt dann, synchrone Tonlage, besonders gerne der sonst eher stille hessische Ministerpräsident auf. Kein Zufall: Soweit es um ein die CDU besonders drückendes Thema handelt, darf man das durchaus in doppeltem Sinne verstehen.
Die Adresse der Alarmrufe in Sachen Stimmung der Bevölkerung ist meistens Innenministerin Nancy Faeser. Wie es der Zufall will, kandidiert sie am 8. Oktober bei der hessischen Landtagswahl als SPD-Spitzenkandidatin. Seit das klar ist, häufen sich die Interviews aus der CDU – und zwar die, in denen mehr gefordert wird als finanzielle Unterstützung.
Da drängt sich nun doch für alle, die nicht an Zufälle glauben, die Erinnerung an 1999 auf. Damals holte die CDU ihren Sieg gegen Rot-Grün in Hessen durch eine konsequent-aggressive Kampagne zum Thema Ausländer/Migration/Staatsbürgerschaft, es folgte die Regierungsära Roland Kochs. Ob sein Wahlkampf damals offen ausländerfeindlich war, wird je nach politischem Lager verschieden beurteilt. Im Ergebnis wurde jedenfalls eine Das-Boot-ist voll-Stimmung gefördert, zum eigenen parteipolitischen Nutzen.
Deshalb wird es so wichtig, die Tonlage zu beobachten. Dass die CDU mit Blick auf den 8. Oktober mit dem Thema gerne strategisch offensiv würde, deutet sich an. Die Erzählung: Die Kommunen werden alleine gelassen, Ministerin Faeser ist schuld an der Zuspitzung der Lage, nur die Union steht für konsequentes Handeln. Die Gegenstrategie der Ampel bisher: selbst Termine ansetzen, also Handeln zeigen („Flüchtlingsgipfel“) – und interessanterweise einen FDP-Mann zum Beauftragten der Bundesregierung für mehr Abschiebemöglichkeiten machen.
Risiko eins für die Union: Es gibt die AfD. Der wird jeder Migrations-Wahlkampf zuerst helfen. Und er könnte speziell in Hessen die Grünen wegtreiben von Schwarz-Grün. Vielleicht fällt ja beides den CDU-Strategen noch rechtzeitig auf. Im städtischen Berlin, wo das Unterbringungsproblem eher größer ist als auf dem Land, haben die das Thema zuletzt lieber vermieden. In der hessischen Fläche muss sich also zeigen, in welche Richtung die Merz-Union gehen will.
Es werden sicher nicht alle Hoffnungen von Geflüchteten aufgehen. Aber Problem anpacken statt Problem ausnutzen bedeutet: bitte nicht die alten innenpolitischen Machtspielchen. Dass Kommunen und Länder bei jedem neuen Problem Geld vom Bund fordern, gehört zur Prozedur. Dieses Feilschen müssen wir aushalten. Stimmungsmache gegen Geflüchtete nicht. Auf Ton und Haltung kommt es an. Bei diesem Thema besonders. Aus böser Erfahrung.
Richard Meng ist freier Autor und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung,