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Die Anakonda und die Kultur

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Von: Manfred Niekisch

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Eine präparierte Anakonda frisst ein Wasserschwein. Das Exponat ist seit rund 100 Jahren im Frankfurter Senckenberg Museum zu sehen.
Eine präparierte Anakonda frisst ein Wasserschwein. Das Exponat ist seit rund 100 Jahren im Frankfurter Senckenberg Museum zu sehen. © Senckenberg Museum/Sven Tränker/dpa

Bücher zu Klima und Biodiversität sollten zur Pflichtlektüre in Schulen werden, neben Goethe und anderen. Die Kolumne.

Eine tote Würgeschlange wird vom Klimawandel bedroht. Wie kann das sein? Ganz einfach, eines der beim Publikum des Senckenberg-Museums in Frankfurt beliebtesten Ausstellungsstücke leidet unter der zunehmenden Trockenheit und Wärme.

Es handelt sich um eine ausgestopfte riesige Anakonda, die ein ebenfalls ausgestopftes Wasserschwein verschlingt. Seit knapp einhundert Jahren führt das Präparat sein museales Dasein, doch jetzt bedarf es der Reparatur. Zu sehr haben die Haut der Wasserschlange und das Fell seines Opfers gelitten unter den sich verändernden klimatischen Bedingungen.

Schnell mal überpinseln hilft da nicht, vielmehr wird die Restaurierung wohl ein Jahr dauern. Fachleute für Farben, Leder, Tierpräparation und aus den Kunstmuseen müssen hinzugezogen werden.

Und viel Geld ist nötig. Auch für eine neue Klimakammer, in der das Exponat untergebracht werden soll. Da wird die Spitze eines Eisbergs sichtbar, wenn das sprachliche Bild denn hier passt. Denn auch Kunstmuseen müssen sich zunehmend Gedanken machen, wie sie ihre empfindlichen Werke alter Meisterinnen und Meister vor den neuen Umwelteinflüssen schützen können.

Hier geht nicht nur um eine Vitrine, sondern um komplette Ausstellungssäle und ganze Museen. Was hat der Klimawandel doch für Folgen, die neben den Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit nun auch noch die Kunst, also wichtige Teile unserer Kultur betreffen.

Es passt gut zum Problemkreis der reparaturbedürftigen Anakonda, dass die Senckenberg-Wissenschaftlerin Katrin Böhning-Gaese zusammen mit der Journalistin Friederike Bauer jetzt ein Buch verfasst hat zum Verschwinden der Arten. Warum Biodiversität für den Artenkiller Mensch unverzichtbar ist und was getan werden kann und muss, um sie zu retten, bilden den Kerninhalt.

Da wünscht man sich, dass solche Bücher zur Pflichtlektüre in Schulen werden, nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Lehrenden. Kein Platz im Lehrplan, zu großer Zeitdruck? Da bedarf es – neben den Klassikern Goethe, Mann und anderen prägenden Angehörigen der schreibenden Zunft – doch Raumes für solche handlungsleitenden Werke.

Schließlich stellt auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung in seinem demnächst erscheinenden Gutachten fest, dass sich das Alltagsverhalten ändern muss, um die Krisen zu meistern. Patzer wie die am Rande des Kommunikations-GAUs entlang schrammenden Äußerungen von Roland Habeck zum Thema private Heizungen verunsichern und verschrecken die Öffentlichkeit, was auch die schrittweise Relativierung danach nicht heilen kann. Opposition und FDP schürten die Panikmache genüsslich.

Der richtige Lesestoff hilft dabei, fit zu werden gegen all den Unsinn, mit dem die Dringlichkeit von Klima- und Naturschutz in Abrede gestellt wird. Wie man allerdings diese Botschaften in die Gehirne der sogenannten Klimaleugner in den Oppositionsparteien und, schlimmer noch, in der Regierungspartei FDP hineinbekommt, bleibt ein Rätsel. Gegen das Verdrehen und Leugnen der Fakten scheint trotz aller biologischer Vielfalt kein Kraut gewachsen.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.

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