Der Name des Kaisers

Die Wilhelms-Uni in Münster will diesen Titel loswerden. Ist das ein Fall von geschichtspolitischem Aktionismus? Die Kolumne.
Theodor Fontane betrachtete den jungen Kaiser, der 1888 als Wilhelm II. im Alter von 29 Jahren den Hohenzollern-Thron bestiegen hatte, zunächst mit Sympathie. Selbst die Entlassung des Reichskanzlers Bismarck billigte er und befand, „dass das Leben unter unserem jungen Kaiser doch viel bunter, inhaltsreicher, interessanter geworden ist“.
Ein paar Jahre später fiel das Urteil skeptischer aus. Hatte ihm an Wilhelm zunächst der auffällige Bruch mit dem Alten gefallen, so zeigte Fontane sich 1897 in einem Brief an seinen Freund Georg Friedlaender besorgt über dessen „Wiederherstellenwollen des Uralten“.
Mit seiner Differenzierungsfreude stellte der Dichter schon unter Zeitgenossen und Nachgeborenen eine Ausnahme dar. Die allgemeine Beurteilung des letzten deutschen Kaisers fällt erstaunlich eindimensional aus, von der anfänglichen Sympathie blieb kaum etwas übrig.
Nach seinem Sturz 1918 wurde Wilhelm II. als machtbesessener Psychopath gesehen, der das Deutsche Reich in die Katastrophe geführt hatte. „Jede neue Publikation“, schrieb ein sonst für seine feinsinnigen Beobachtungen gerühmter Harry Graf Kessler 1928, „macht das Bild dieses Schwächlings, Feiglings, brutalen Strebers und Bramarbas, dieses Hohlkopfs und Aufschneiders, der Deutschland ins Unglück gestürzt hat, noch abstoßender“.
Die Zeit heilt keine Wunden. 121 Jahre nach der Ernennung zur Wilhelms-Universität ist man an der Hochschule im westfälischen Münster bestrebt, den Namen ihres Stifters loszuwerden. Für deren Rektor, den Physiker Johannes Wessels, ist Wilhelm II. jemand, der „viel Böses“ getan hat. Die infantile Ausdrucksweise deutet nicht gerade auf eine sorgsam geprüfte Entscheidung über das Verhältnis von Zeitgeschichte und Person hin. Wilhelms Verfehlungen scheinen offensichtlich. Und prüfen in Potsdam nicht gerade Gerichte, ob das Haus Hohenzollern dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe?
Die Nachricht aus Münster löst bei vielen eher ein beiläufiges Achselzucken aus. Von beherzter Ehrenrettung des letzten deutschen Kaisers keine Spur. Kann Wilhelm II. also weg? Warum sollte er bleiben? Das sind so Fragen, die sich an den geschichtspolitischen Aktionismus aus dem Westfälischen knüpfen.
Zur Beantwortung lohnt die Hinzuziehung der Arbeiten des britisch-australischen Historikers Christopher Clark. Man brauche kein Fürsprecher einer Rehabilitierung zu sein, schreibt dieser in seiner bemerkenswert unkonventionellen Kaiser-Inspektion, um zu spüren, dass Wilhelms Sprache ein wenig überzogen sei.
Clark beschreibt ihn als Medienkaiser, der stets auf seine äußere Erscheinung bedacht war und verweist auf die beschränkte Macht, mit der er regierte. Gerade deshalb, so Clark, erwies er sich als Meister des öffentlichen Worts. „Hingegen war der Inhalt seiner öffentlichen Äußerungen häufig katastrophal fehl am Platze.
Es ist wohl keine Übertreibung zu behaupten, dass das Ansehen des Kaisers – sowohl unter Zeitgenossen, als auch unter späteren Historikern – weit mehr unter dem gelitten hat, was er sagte, als unter dem, was er tat oder veranlasste.“ So scheint sogar das Geschichtsbild Wilhelms Opfer eines ungebändigten Wortschwalls gewesen zu sein, der mehr „Böses“ gesagt als getan hat.
Harry Nutt ist Autor