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Der Höhlenbär und wir

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Von: Petra Kohse

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Selbst dem Höhlenbär – selbstverständlich dem damaligen mit Fell – setzten die Kleidermotten schon zu.
Selbst dem Höhlenbär – selbstverständlich dem damaligen mit Fell – setzten die Kleidermotten schon zu. © Stefan Ziese/Imago

Wir können Tiere klonen und Schwarze Löcher erforschen, aber gegen den Raubfraß der Kleidermotten in unseren Schränken sind wir offenbar machtlos. Die Kolumne.

Es ist nicht schön, aber es geht nicht anders. Jahrzehntelange Feldbeobachtung, hohe eigene Verluste und zahlreiche Gespräche mit Geschädigten lassen mir keine Wahl: Wir müssen reden. Und zwar über Motten. Kleidermotten, um genau zu sein. Lebensmittelmotten sind zwar auch eine Last. Aber das, was sie fressen, ist nicht so teuer (bisher jedenfalls). Kleidermotten also, Tineolae bisselliella – in der Einzahl von ihnen zu sprechen, ist sinnlos. Es gibt sie überall auf der Welt und seit Anbeginn des tierischen Lebens.

Schon im Pleistozän haben sie dem Höhlenbären während dessen Winterruhe wohl das Fell zernagt, ganz sicher dann vor rund 4000 Jahren assyrische Tuchhändler beklaut, wie diese in überlieferten Keilschriften beklagen.

Und heute können sie ihr zerstörerisches Werk in einfach jedem Winkel der betuchten Welt vollbringen: Alle paar Flugmeter haben weibliche Kleidermotten Gelegenheit, den Nachwuchs einzunisten und dessen Ernährung dem teuer erworbenen Gut der Wirtsleute zu überlassen, seien es Wollteppiche, Kaschmirpullover oder selbstgestrickte Schals. Die Assyrer pflegten im Falle des Befalls die Stoffe zu zerschneiden und erhaltene Bahnen an Diener zu verschenken. Ich habe keine Diener, aber atlantikblauen Harristweed, direkt aus Schottland, der an mehreren Stellen Durchsicht bietet.

Ist es zu fassen, dass wir Tiere klonen, mustererkennende Maschinen bauen und Schwarze Löcher am Rand der Milchstraße erforschen, aber nichts gegen den Raubfraß in unseren Schränken tun können? Oder fehlt der zuständigen Forschung nur der Auftrag?

Die Anbieter windiger Heilsversprechen sind nicht so faul und haben Mottenpapier, Mottenkugeln oder Klebefallen für die Befallskontrolle entwickelt, ätherische Öle werden mit dem Hinweis verkauft, Motten zumindest das silbergraue Näschen rümpfen zu lassen (Lavendel, Nelke, Zeder…), und dann gibt es natürlich auch die Schlupfwespen.

Die helfen wirklich, wurde mir versichert, da gebe es keinen Zweifel, die hundert Euro für eine sechsfache Behandlung im Abstand von je drei Wochen würden sich definitiv lohnen! Etwas unheimlich war mir die Sache schon: Sklavenhaltung von Schlupfwespenlarven in Klappkärtchen, die in einer Art mikroskopischem Gladiatorenkampf nach dem Schlüpfen auf die Mottenlarven losstürzen müssen, um selbst zu überleben…

Wer alles andere versucht hat und zwei- bis dreimal jährlich mit Tränen in den Augen den gesamten Wollbestand ausschüttelt, portionsweise ins Tiefkühlfach legt und danach wäscht, darf das, dachte ich und freute mich über jedes Pünktchen, das den Winter über durchs Zimmer schwebte und das ich für eine siegreiche Schlupfwespe hielt.

Es wird Sie nicht überraschen, aber die Aktion war nicht nachhaltig. Schon flattert es wieder durch die Wohnung und ich folge dem nächsten garantiert sicheren Tipp: Plastikhüllen, in die ich die eingefrorenen, gewaschenen, reparierten und inzwischen recht stark dezimierten Bestände vakuumverpacke. Meine Kusine schwört darauf und ich habe soeben Nachschub bestellt, also lassen Sie es mich nicht wissen, dass es bei Ihnen nichts genutzt hat.

Am Ende ist es ja auch ein wenig tröstlich, dass es Dinge gibt, die sich nie ändern – und dass es so winzig kleine Gegner sind, die mitten unter uns unbeirrt und auf unsere Kosten nachhaltig ihren Lebensraum zu sichern verstehen.

Petra Kohse ist Theaterwissenschaftlerin, Autorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.

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