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Das technifizierte Dasein

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Von: Petra Kohse

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„Hm, das nimmt er jetzt nicht. Warum nimmt er das nicht? Was will er denn?“
„Hm, das nimmt er jetzt nicht. Warum nimmt er das nicht? Was will er denn?“ © Uli Deck/dpa

Es fehlt an Fantasie, an der Formulierung von Visionen. Am herzoffenen, ungeschützten Projizieren von Gewünschtem. Die Kolumne.

Neulich zu Besuch im Reich der Sachbearbeitung. „Hm, das nimmt er jetzt nicht. Warum nimmt er das nicht? Was will er denn?“ Mensch und Maschine im Paarbetrieb! Mit Katzen-Nippes auf dem Sockel des Computerbildschirms und der beziehungsdynamischen Ansprache gerät das Gerät umstandslos zur dritten Person, zu einem nützlichen, aber zuweilen störrischen Mitarbeiter, über dessen Motive man nur rätseln kann.

Interessanterweise braucht es für die Personifizierung eines Objekts weder Interaktivität noch Design. Von einem humanoiden Gefährten wie dem Roboter Pepper ist der graue Kasten hier im Verwaltungsbüro Entwicklungsäonen entfernt. Die schiere Tatsache, dass an ihm auf dem Weg zur Erledigung der Arbeit kein Weg vorbeiführt, genügt aber, um ihn als Gleichen unter Gleichen ins System zu integrieren: der Portier am Eingangstresen („Guten Morgen!“), die Kollegin nebenan („Kommste mit eine rauchen?“), der Computer auf dem Schreibtisch („Was hat er denn schon wieder?“).

Nicht anders als das Kind, das mit Stofffetzen Familie spielt, wenn sonst nichts zur Hand ist, ist auch der erwachsene Mensch (und sei es im öffentlichen Dienst) in der Lage, sich die Verhältnisse nach seinen Bedürfnissen zu imaginieren. Und wissen Sie was? Das Dopamin, das im Gehirn ausgeschüttet wird, wenn „er“, also der Computer, die Eingabe nach mehreren Fehlversuchen doch „nimmt“ und den Rechenprozess wieder startet, ist kein anderes als das, das freigesetzt würde, wenn ein echter Kollege ein Problem gelöst hätte.

Womit ich jetzt nicht für Rationalisierung plädieren will. Weder wirtschaftlich noch psychologisch. Tatsächlich fehlt es mir in diesen kriegs- und krisengeschüttelten Tagen, in denen immer nur auf das Alleraugenfälligste reagiert wird, genau am Gegenteil: an Fantasie. An der Formulierung von Visionen. Am herzoffenen, ungeschützten Projizieren von Gewünschtem.

Natürlich könnte man auch sagen „Mit seinem Gerät redet doch jeder irgendwann!“ und darin die Trostlosigkeit des technifizierten Daseins bewiesen sehen. Doch dann ignorierte man die menschliche Fähigkeit, sich Fehlendes vorzustellen. Und in der Kunst des Als-Ob, deren Omnipräsenz sich mir an mausgrauer Stelle offenbart hat, lächelte einem sogar zwischen Deckenflutern und Linoleumboden so etwas wie Zukunft zu.

Der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spiele, heißt es bei Schiller. Der Homo ludens – im Alltag sind seine Talente und Kräfte oft an des nackten Kaisers Kleider gebunden. Mit einer Arbeit, die ihn nicht interessiert, verdient er Geld, das er für Dinge ausgibt, die er nicht braucht. Und teilt dann erschrocken Fake News, weil es sich für ihn stimmig anfühlt, Opfer von etwas zu sein, das er nicht sieht.

Ebensogut könnte er, könnte sie, könnten wir spielerisch entscheiden, handlungsfähig zu sein. Denn Erfahrung und Gedanke sind dem Dopamin ja einerlei! Und dann würden wir vielleicht die alten Sachen im Schrank als Vintage feiern, Fremde als Freunde begrüßen, Ressourcen gleichmäßig verteilen und davon ausgehen, dass Einstein es ernst gemeint hatte, als er sagte, Probleme könnten nur außerhalb des Systems gelöst werden, in dem sie entstanden sind.

So einfach ist es? Na ja, zumindest lässt sich doch sagen: Anstrengender oder schädlicher als die Imagination der Hoffnungslosigkeit kann eine Behauptung von Möglichkeit unmöglich sein.

Petra Kohse ist Autorin, Theaterwissenschaftlerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.

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