Corona-Proteste und Querdenker-Demos: Da müssen wir jetzt alle durch
Alle wollen das kaputt machen, von dem sie denken, dass es sie kaputtmacht. Sie haben zwar nicht recht. Aber das ist egal. Eine Demokratie muss das aushalten. Die Kolumne.
Frankfurt am Main - Eigentlich müssten „wir“ es ja besser wissen. „Wir“, das waren die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Die als Gammler beschimpft wurden, als Haschbrüder, Drückeberger, Kommunisten und Terroristen, die unseren Staat zerstören wollten.
In der Tat wollten wir kaputtmachen, was uns kaputt macht. Dabei waren wir nicht gegen die Demokratie, sondern für eine bessere. Eine stärkere. Eine Gesellschaft, in der tatsächlich alle gleich sind. Nicht nur auf dem Papier eines Grundgesetzes.

In der Tat gerieten wir dabei nicht selten in Konfrontation mit den exekutiven Repräsentanten unseres Staates, der Polizei. „Die Bullen“ wurden so zum Feindbild schlechthin, denn sie wollten uns daran hindern, gegen das zu sein, gegen das wir waren.
Beim Anblick der Polizei: Gefühle wie ein Fünfjähriger
Das prägt. Mir wird heute noch mulmig, wenn ich Menschen in Polizeiuniformen begegne. Schlagartig komme ich mir dann vor wie ein Fünfjähriger, der im Kinderparadies beim Mopsen eines Legosteins erwischt wird. Mehr noch. Denn solch ein Gefühl kommt auch in mir hoch, wenn ich nur den Ausweis verlängern lassen möchte, ein Führungszeugnis beantragen oder ein Paket beim Zoll abholen.
Mehr noch. Ich habe sogar den Eindruck, dass meine vorauseilenden Schuldgefühle bei meinen staatsvertretenden Gegenübern ebenso schlagartig einen generellen Verdachtsreflex auslösen. So könnte ich wetten, dass von hundert Leuten in der Ankunftshalle eines Flughafens nur ich meinen Koffer öffnen muss, obwohl ich wahrscheinlich der Einzige bin, der nichts zu Verzollendes bei sich führt.
Und natürlich wird aus einer langen Autoschlange vor einem Grenzübergang mein Wagen als einziger herausgewunken. So kommt es, dass ich noch nie im Leben auch nur eine winzige Zigarette schmuggelte. Denn ich weiß ja schon vorher, dass ich kontrolliert werde.
Einsatz von Polizisten bei Corona-Demos: Das Misstrauen hat Gründe
Umgekehrt wird mir immer etwas wohlig, wenn mir an einschlägigem Ort eine verhuschte Gestalt die Frage „Brauchst du was?“ zuhechelt. Obwohl ich in meinem ganzen Bekanntenkreis wahrscheinlich der Einzige bin, der noch nie im Leben auch nur ein einziges Gramm Gras oder dergleichen käuflich erworben hat, trauen mir also selbst erfahrene Kleindealer trotz meiner mittlerweile 62 Lenze ein jugendliches Kifferdasein zu. Das macht mich zwar ein wenig stolz, doch brauche ich mich auch nicht zu wundern, wenn ich auf dem Gefühlsradar eines szenekundigen Staatsdieners als dicker Fisch erscheine.
Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Mein Misstrauen hat Gründe. Unzählige Male habe ich erlebt, wie Menschen von Polizisten blutig geprügelt, mit Wasserwerfern einige Meter nach hinten geschleudert und am Boden liegend ins Gesicht getreten wurden. Ich rede nicht von gewalttätigen Demonstranten, sondern von Menschen, die nichts weiter wollten, als ihr Recht auf Meinungsäußerung ausüben.
Im Gegensatz zu den Querdenkern waren wir im Recht
„Wir“, die damals dabei waren, müssten es also besser wissen. Deswegen dürfen wir auch nicht fordern, Corona-Demonstrationen sogenannter Querdenker zu verbieten. Klar, viele davon sind Rechtsextreme, andere verbohrte Egoisten. Und allesamt wollen das kaputt machen, von dem sie denken, dass es sie kaputtmacht. Doch wir damals waren im Recht, die heute sind es nicht. Aber das ist egal. Eine Demokratie muss das aushalten. Auch ohne Verbote. (Michael Herl)