Corona-Politik: Die Ampelkoalition hat ihre Chance vertan

SPD, Grünen und FDP ist es nicht gelungen, die schlechte Stimmung in der Corona-Krise zu wandeln. Die FR-Kolumne.
Es war lange ein stilles Drama, das die Republik da erlebt hat. In der Wissenschaft schlugen sie resonanzlos Corona-Alarm, in der Politik war Handeln gerade nicht vorgesehen, in der Gesellschaft haben viele sich in ihrer ignoranten Haltung eingebunkert. So also munter rein in die vierte Welle. Ist irgendwie passiert. Vor lauter Überdruss nicht aufgepasst, wir alle. Der Staat? Wie außer Betrieb.
Irgendwann, in einem Nebensatz, sagte die unerfahrene Generalsekretärskandidatin eines wohl aussichtslosen CDU-Vorsitzkandidaten: Es gehe darum, dass dieser Staat wieder funktioniert. Wie soll das gelingen? Wohin man schaut, ist Frust, mitunter (Krankenhauspersonal) schon Abstimmung mit den Füßen. Die angehende Parlamentsmehrheit hatte sich coronapolitisch auf Staatstechnik reduziert. Nur darum geht es bei der Juristenfrage, ob via nationaler Notlage weiter die Regierung den Blankoscheck bekommt oder das Parlament sich zurückmeldet.
Corona-Krise: Hospitalisierung als rote Linie der Politik
Von ganz unten bis ganz oben ist aber Bewegungsmüdigkeit - sinnbildlich an der polnischen Ostgrenze. Fast alles, was dort passiert, ist nicht rechtens. Trotzdem passiert es, alle schauen zu. Kaum zu fassen nach all der Verachtung für Donald Trumps Mauerpläne Richtung Mexiko. Auch die Abschottung Europas stößt kaum mehr auf breiten Protest. Hauptsache, ein fernes Problem rückt nicht näher. Jetzt die vierte Welle, das reicht.
Am ehesten funktionieren in Zeiten des Überdrusses die Selbstschutzargumente. Eines mit Basta-Charakter: dass die Belastungsgrenze des Gesundheitssystems die rote Linie in der Coronapolitik sei. Das Argument ist logisch, richtig und unzureichend. Die Verhinderung von Krankheit und Tod muss die rote Linie sein und die Entwicklung im Gesundheitssystem in Abhängigkeit davon gedacht und finanziert werden. Das ist mehr als Wortklauberei. Es geht darum, woran sich Handeln ausrichtet: am Ziel – oder am System.
Ob Rente oder Corona: die staatliche Reflexmaschine springt an
Wir haben uns angewöhnt, vom System her zu denken. Rentenpolitik, die das Rentensystem nicht überfordert. Auch das ist vor allem ängstliches Staatsmanagement. So wie die Reflexe in der Schul- oder Behördenpolitik, wo gegen jede neue Idee das Lied von der Überlastung gesungen und neues Personal gefordert wird.
Selbst wenn nun, obwohl niemand von Corona noch etwas hören will, doch die staatliche Reflexmaschine angesprungen ist: Nach diesen peinlichen Wochen werden sich wieder Grundeinstellungen verfestigen über die Politik an sich. Erfahrungen, die Menschen über Jahre hin leiten – weg von Veränderungshoffnung, hin zu Unerreichbarkeit im politischen Diskurs. Mit praktischen Folgen, weil immer weniger Leute auf Ratschläge hören. Mit politischen, wenn mal wieder Wahlen sind und sich niemand mehr an Frustanlässe erinnert.
Ampelkoalition: Ihr werdet nicht viele Chancen bekommen
Wie redete sich ein sächselnder Bürgermeister heraus, gefragt, warum so wenige sich impfen ließen: Er höre, dass seit 2015 das Vertrauen verloren gegangen sei. Weil damals niemand auf Volkes Stimme gegen Flüchtende gehört habe. Das blieb im Interview stehen. Keine kritische Nachfrage. Niemand sagte ihm, welche Schande es ist, sich damit abzufinden.
Zum Neustart einer ungewöhnlichen Parlamentsmehrheit, die sich gerade als selbstbezogen und hasenfüßig erwies, lässt sich festhalten: Liebe Ampel, ihr werdet nicht viele Chancen für einen Stimmungswandel bekommen. Die erste habt ihr liegen lassen. Aber denkt künftig dran: Bewegung braucht Bewegen. Bewegen braucht die Bereitschaft, Ungewisses sichtbar anzupacken. Und: Nach der Welle ist immer vor der Welle. (Richard Meng)