Bolsonaros langer Arm

Dem größten Feuchtgebiet der Erde in Brasilien droht das Aus. Denn die Gefolgschaft des Tropen-Trumps zieht noch immer viele Fäden. Die Kolumne.
Sie waren schon mal vom Tisch, die Pläne für die Hidrovia. Das ist fast ein Vierteljahrhundert her, und es herrschte Jubel bei allen, denen Naturschutz im Herzen und Vernunft im Hirn liegen.
Für eine gigantische Wasserstraße sollte der Fluss Paraguay in Brasilien ausgebaggert werden. Wozu? Damit große Frachtschiffe Soja abtransportieren können. Aufgrund heftiger internationaler Proteste wurde das Projekt gestoppt. Es hätte das Aus bedeutet für das Pantanal, das größte Feuchtgebiet der Erde, fast halb so groß wie Deutschland.
Charismatische Tierarten wie der leuchtend blaue Hyazinth-Ara, Riesenotter und Jaguar gehören in beachtlichen Populationen zu der ungeheuer reichen biologischen Vielfalt dieses wunderbaren Überschwemmungslandes, das die Hälfte des Jahres unter Wasser steht. Zudem leben dort Indigene und die Pantaneiros, deren traditionelle Praktiken der Ressourcenbewirtschaftung bestens an die wechselnden Wasserstände angepasst und davon abhängig sind. Die Vereinten Nationen erklärten das Gebiet zum Welterbe der Menschheit.
Doch wie sich nun herausstellt, wanderte das damalige Vorhaben nur vom Tisch in eine Schublade, aus der es jetzt wieder hervorgeholt wurde. Erste Vorgenehmigungen sind erteilt, Voraussetzung für den Start der Katastrophe. Wie kann das sein, jetzt da der Hoffnungsträger Präsident Lula da Silva am Ruder und Jair Bolsonaro abgewählt ist?
Ganz einfach, der Staatsapparat ist auf allen Ebenen noch durchsetzt mit den Gefolgsleuten des kleinen Tropen-Trumps, des machtbesessenen Umweltzerstörers. Da ziehen die alten Seilschaften ihre Interessen durch. Es geht um viel Geld.
Bauunternehmen, welche den Rio Paraguay zum Industriekanal umbauen, freuen sich auf millionenschwere Aufträge. Die Sojaindustrie kann sich sogar doppelt freuen. Nicht nur weil sie ihr Produkt dann schneller und in größeren Mengen auf die Weltmärkte transportiert bekommt. Sie kann zudem auf neue Anbauflächen hoffen, die in den durch den Flussausbau trockenfallenden Gebieten des Pantanal entstehen werden.
Der schon lange vorhandene Einfluss der Soja-Granden auf die Regierung hat sich in Bolsonaros Zeiten erheblich gesteigert und verstetigt. Die Ausweitung des Sojaanbaus geht Hand in Hand mit der von der Holzmafia gerade jetzt intensivierten Abholzung der Wälder Brasiliens.
Die Strategie ist perfide. Sie dient ganz offenkundig dem Ziel, Bolsonaros Erzfeind Lula zu desavouieren. Dann steht er da als der Präsident, der mit dem Versprechen des Wald- und Umweltschutzes angetreten und dem hier nichts gelungen ist.
Die Umweltverwaltungen hat Bolsonaro personell stark ausgeblutet, linientreues Personal überall an den Schaltstellen der Macht positioniert. Die alle erst einmal zu identifizieren und dann auch noch durch umweltorientierte Beschäftigte zu ersetzen, ist ein kaum zu bewältigender Kraftakt. Zumal die Bevölkerung Brasiliens tief gespalten ist und sich die Fanblocks von Lula und Bolsonaro unversöhnlich gegenüberstehen.
Das muss man ihm lassen: Bolsonaro hat ganze Arbeit geleistet, um die Zukunft seiner Getreuen zu sichern. Und der Umwelt weit über seine Amtszeit hinaus zu schaden. Und um das Pantanal womöglich für immer zu zerstören.
Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.