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Vom Vegetarier zur Ätzbeule - die zwei Häute der Bild-Redakteure

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Von: Michael Herl

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Die Apps der Zeitungen „Bild“ und „Die Welt“ auf dem Smartphone, dahinter die jeweiligen Papierausgaben der Zeitungen
Der Medienkonzern Axel Springer will in den USA seine Reichweite deutlich ausbauen. In Deutschland arbeitet der Konzern an einer neuen Struktur für das Mediengeschäft mit den Flaggschiffmarken Bild und Welt. © dpa

Was treibt die Leute von der „Bild“-Zeitung an, zu wüten? Vielleicht eine Art Aggressionsabbau, wie ihn andere Menschen nur zur Fastnacht kennen. Die Kolumne.

Eigentlich sagt ja auch die Psychologie, dass es befreiend wirkt, ab und zu mal aus sich rauszugehen und etwas Verrücktes zu tun. Manche Menschen bewerkstelligen das, indem sie sich an die Küste stellen und das Meer anbrüllen. Andere dreschen auf Schrottplätzen mit Vorschlaghämmern auf alte Autos ein oder graben auf eigens dafür angelegten Baustellen mit Baggern Löcher und schütten sie dann wieder zu.

Eine in weiten Teilen der Republik verbreitete Form der Ich-Flucht nennt sich Karneval, Fasching oder Fastnacht. Zu diesem Anlass tun Menschen so, als wären sie andere, ziehen deren Kleidung an und ahmen ihre Gewohnheiten nach. Gehen sie etwa als alkoholkranker Handwerker, schlüpfen sie in einen Blaumann und saufen sich voll. Begleitet wird dieser Vorgang von immerfortem, lautem Lachen und sich gegenseitigem Befummeln und Bedecken mit feuchten Küssen.

Das sollte man nicht verurteilen, denn es gilt als Ventil zum Ausgleich von Aufgestautem. Lässt man das nicht einmal im Jahr raus, werden die Menschen wunderlich und machen Dummheiten. Deswegen wurde einst auch die Kostümierung an Karneval erfunden; man vertrieb damit böse Geister und hatte dann wieder ein Jahr Ruhe vor ihnen.

„Bild“-Redakteurinnen sind widerliche Ätzbeulen

Das alles erklärt dann auch, was viele nicht verstehen – warum Menschen fröhlich durch die Straßen tänzeln, während andere schreckliches Leid aufgrund eines Kriegs und eines Erdbebens erdulden müssen. Kann man so sehen, muss man aber nicht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Verhalten von Menschen, die nicht einmal pro Jahr, sondern täglich in eine andere Haut schlüpfen. Konkret denke ich dabei an die Redakteurinnen und Redakteure der „Bild“-Zeitung.

Das sind in der Regel wohlerzogene, gebildete und zivilisierte Menschen. Sie haben studiert, sind verheiratet, haben Kinder und Ängste und Träume wie alle anderen auch. Meist sind sie auch vernünftig, fahren Fahrrad und Hybridautos, trennen ihren Müll, bewegen sich viel, essen Ballaststoffe, sind häufig gar Vegetarierinnen oder Veganer. Jeden Morgen aber kommen sie ins Verlagshaus, geben ihr erstes Ich an der Pforte ab und schlappen als jemand anderes in ihre Redaktionsstuben – als widerliche Ätzbeulen.

„Bild“ hat es auf „Klima-Chaoten“ abgesehen

Nur so lässt sich erklären, was sich in letzter Zeit in diesem Blatt abspielt. Sie sitzen dann vermutlich zusammen, einigen sich auf ein Ziel ihres Aggressionsabbaus und hauen drauflos.

Aktuell haben sie es auf die jungen Leute abgesehen, die sich gegen den Klimawandel engagieren. Ob Greta Thunberg, Luisa Neubauer oder jene, die sich auf Straßen kleben, allesamt werden sie täglich als „Klima-Chaoten“ beschimpft und in einer Weise diskreditiert, die jegliche journalistischen Regeln und Formen außer Acht lässt – von einem Berufsethos mal ganz zu schweigen.

Früher nannte man so etwas mal „Agitprop“, doch das taten leninistische Kommunisten. Das spätpubertäre Herumgehacke auf einigen Protestierenden, die nach Thailand in Urlaub flogen, ist längst nicht der Gipfel des peinlichen Feldzugs. Dass man dabei Volksverdummung betreibt und gleichzeitig am äußersten rechten Rand unter den Tumbsten der Tumben um Auflage buhlt, kann kein unerwünschter Nebeneffekt sein. Das ist Teil der Kampagne – die leider am Aschermittwoch nicht vorbei sein wird. (Michael Herl)

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