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Aus eins mach vier

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Von: Manfred Niekisch

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Die Giraffe ist stets für eine Überraschung gut.
Die Giraffe ist stets für eine Überraschung gut. © Philipp Brandstädter/dpa

Selbst bei den Giraffen gibt es Überraschungen, wenn man ihnen mit Genanalysen zu Leibe rückt. Kriminalistischer Spürsinn hilft bei der Erforschung der Biodiversität. Die Kolumne.

Es ist die Standardsituation. Der ermittelnde Kommissar und seine weibliche Kollegin wollen möglichst schnell Klarheit über Fakten zur aufgefundenen Leiche, der rechtsmedizinische Dienst wehrt ab wegen Feierabend oder weil er den toten Körper erst einmal im Labor genauer untersuchen muss. Mit der ungeduldigen Frage „Habt ihr schon was für uns?“ kehren solche Abläufe immer wieder, zumindest in den Fernsehkrimis. Mit echter Polizeiarbeit hat das nur bedingt oder auch gar nichts zu tun.

Eines allerdings zeigen die fiktiven Fälle ebenso wie die Ermittlungsarbeit im richtigen Leben. Die Analyse der DNA, also der die Gene bildenden Substanz, macht die Identifikation von Opfern und Tätern leicht. Die Desoxyribonukleinsäure (DNA), die in der gängigen Abkürzung ihren dritten Buchstaben, das A, anstelle des Säure-S aus dem Englischen Acid entliehen hat, eröffnet Perspektiven der Nachforschung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar, später zumindest sehr teuer waren.

Selbst ungeklärte Fälle, die Jahrzehnte zurückliegen, lassen sich damit heute der Aufklärung näherbringen oder gar lösen. Knochen, Hautreste, auch nur ein Haar, damals sorgfältig verwahrt, genügen. Ebenso ist die Identifikation von Opfern nach Katastrophen oder Kriegsverbrechen damit in neue Dimensionen vorgestoßen.

Auch in den Naturwissenschaften bietet die Sequenzierung der Erbsubstanz spannende Möglichkeiten und erleichtert die Feldarbeit. Dazu benötigen die Forschenden noch nicht einmal in jedem Fall Proben des Tieres. Finden sich beispielsweise in stehenden Gewässern Körperzellen oder Ausscheidungen von Tieren, genügen diese Träger der Erbsubstanz in den Wasserproben zur Feststellung, welche Amphibienarten sich dort befinden. Man spricht von eDNA, wobei das e für environmental steht.

Genanalysen erlauben auch bisher unmöglich zu gewinnende Erkenntnisse über Verwandtschaftsbeziehungen von Tierarten. Besonders spektakulär gelang dies einem Projekt des Forschungsinstituts Senckenberg. Nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern auch mit höchster Relevanz für die praktische Naturschutzarbeit.

Die Forschenden knüpften sich eine Tierart vor, die selbst im Freiland schwerlich zu übersehen ist und die in kaum einem Zoo fehlt, nämlich die Giraffe. Bis dato gingen die Zoologen davon aus, es gäbe nur eine einzige Art von Giraffe mit ein paar Unterarten. Doch nun zeigten die Analysen, dass es vier Arten sind, die voneinander genetisch klar getrennt sind.

Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Ganz einfach, denn plötzlich geht es nicht mehr um eine Tierart, von der es ungefähr noch 90 000 Individuen gibt und die damit weit entfernt ist, gefährdet zu sein. Es ergab sich durch die Aufspaltung der Arten, dass es von der seltensten Art nur noch rund 3500 Tiere gibt. So stellt sich die Bedrohungslage auf einmal ganz anders, ganz akut dar.

Was mag sich da noch alles an Überraschungen ergeben, wenn selbst bei so großen und seit der Antike bekannten Tieren diese Unterschiede bisher verborgen blieben. Das ist ein weiterer Hinweis, dass wir von der Biodiversität der Erde noch immer wenig Ahnung haben. Kriminalistischer Spürsinn hilft, aber rot-weiße Absperrbänder sind überflüssig.

Manfred Niekisch ist Biologe und früherer Direktor des Frankfurter Zoos.

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