Aufgestiegen aus der Vergangenheit

Es hätte Schlimmeres kommen können als ein zweiter Manta-Manta-Film. Denn vieles aus den 90er-Jahren scheint aktuell - manches leider, anderes zum Glück. Die Kolumne.
Eigentlich kann man sich heutzutage ja über gar nichts mehr wundern. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagte schon mein Vater vor fünfzig Jahren, „nichts ist unmöglich“, meinten dazu später einige Japaner – und heute sind wir so weit, dass wir uns über die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen nicht mal mehr Gedanken machen.
Alles kommt halt, wie es kommt, und wird mittlerweile ohne einen Hauch von Befremden hingenommen. Man könnte nun meinen, der aktuelle Krieg sei ein Beispiel dafür. Ist er aber nicht. Denn wenn man sich jahrzehntelang Frieden vorsäuselt, gleichzeitig aber unverdrossen Waffen produziert, braucht man sich nicht zu wundern, dass irgendwann auch damit geschossen wird.
Das ist wie mit den sogenannten Sportschützen. Stattet man Menschen, die mit ihrer Freizeit nichts anzufangen wissen, anstandslos mit Pistolen und Gewehren aus, ist es nur wahrscheinlich, dass einer von ihnen mal durchdreht und etwa in einer Schule herumballert. Doch hinterher fragen sich alle, wie das nur geschehen konnte.
Verwunderlicherweise wundern wir uns also am meisten über Selbstverständlichkeiten. Geschehnisse aber, die kein einigermaßen geradeaus denkender Mensch für möglich gehalten hätte, nehmen wir achselzuckend hin. Ein gutes Beispiel ist „Manta Manta“. Ja. Der Film. Mit Till Schweiger. Ein Werk, das es schon einmal gab, 1991, und das schon damals fürchterlich überflüssig war.
Ein Haufen spätpubertierender Halbstarker heizt mit tiefergelegten Autos durch die Gegend und will damit leichtgeschürzte Mädels beeindrucken. Im Grund nichts Besonderes. Das lässt sich an jedem Freitagabend an jedem innerörtlichen Bushaltehäuschen außerhalb der Ballungszentren beobachten.
Der Plan ging auf, der Film wurde zum Erfolg. Das Abstruse: Nun, mehr als 30 Jahre später, geht der Plan schon wieder auf. „Manta Manta – Zwoter Teil“ zog am ersten Wochenende fast 400 000 Menschen in die Kinos.
Mich erfüllt das mit Sorge. Nicht wegen überbordender Trivialität in der Alltagskultur. Die ist nicht neu. Doch ich frage mich, kommt da noch mehr aus dem Jahr 1991? Was war da noch? Ich sah nach.
Es kam zu rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda. „Ausländerfrei“ wurde zum Unwort des Jahres gewählt, „Besserwessi“ zum Wort des Jahres. Der beliebteste männliche Vorname war Kevin. Der 1. FC Kaiserslautern wurde Deutscher Fußball-Meister, Hertha BSC stieg ab in die Zweite Liga.
Der Bundestag beschloss einen Umzug nach Berlin. Christian Lindner war zwölf Jahre alt. Wegen des Golfkriegs fiel Karneval aus. Roy Black und Miles Davis starben. Die Sowjetunion löste sich auf. Ein Gesetz zur Förderung regenerativer Energien trat in Kraft. Ötzi wurde gefunden (die Mumie). Der ICE wurde eingeweiht.
In Polen fanden die ersten demokratischen Wahlen statt. „Wind of Change“ war die meistverkaufte Single. Der Informatiker Tim Berners-Lee entwickelte das World Wide Web. Laut einer „Verzehrstudie“ der „Gesellschaft für Konsumforschung“ aßen die Deutschen weniger Fleisch als im Jahr zuvor. In Zwickau lief der letzte Trabant vom Band.
Fazit: Vieles scheint sehr aktuell, manches leider, anderes zum Glück. Auf alle Fälle – man glaubt es kaum – hätte Schlimmeres kommen können als ein zweiter Manta-Manta“-Film.
Michael Herl ist Autor und Theatermacher.