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Argwohn und die Folgen

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Von: Petra Kohse

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Noch nie habe sie einen Menschen mit der Regierungspolitik seines Landes identifiziert, sagt unsere Kolumnistin. Trotzdem löst der Anblick eines russischen Kennzeichens auf einem geparkten Auto in Berlin negative Gefühle in ihr aus. Warum?
Noch nie habe sie einen Menschen mit der Regierungspolitik seines Landes identifiziert, sagt unsere Kolumnistin. Trotzdem löst der Anblick eines russischen Kennzeichens auf einem geparkten Auto in Berlin negative Gefühle in ihr aus. Warum? © Gerald Matzka/dpa (Symbolbild)

Ein Fahrzeug mit russischem Kennzeichen hierzulande kann irritieren und seltsame Gedanken auslösen. Die Kolumne.

Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, registriere ich immer die Nummernschilder der parkenden Autos. Das Berliner Ordnungsamt hätte seine helle Freude an mir. Gestern gab es etwa auffallend viele B-EAs in unserer Straße, zwei italienische Kennzeichen – und ein russisches.

Ein BMW, metallisch blau. Sofort befiel mich eine Unfreundlichkeit, wie ich sie von mir sonst nur kenne, wenn Radiogeplärre von Baustellen in mein Fenster dringt. Was macht der hier?, fragte ich mich, während sich gleichzeitig mein menschliches Gewissen meldete. Aber ich bestand darauf: Welche russische Seele wagt es, hier elegant unter Berliner Platanen zu parken, während Russland Krieg führt und die westliche Welt in eine Krise stürzt etc.? Wie kann man!

Nie zuvor habe ich jemanden mit der Regierungspolitik seines Landes identifiziert. Ich selbst habe als Staatsbürgerin noch keinen Widerstand geleistet, wenn man von der Volkszählungsverweigerung im letzten (oder war es im vorletzten?) Jahrhundert absieht. Und der oder die Parkende könnte ja regierungskritisch eingestellt sein. Oder nur kurz auf Besuch bei hier lebender Familie. Trotzdem dachte es in mir feindselig weiter, während ich mich auf meinem Weg befand, und das war neu.

Der Weg übrigens führte zur Physiotherapie. Dahin gehe ich schon einige Monate. Mehr als einen Kilometer ist die Praxis von meiner Wohnung entfernt, zu Anfang musste ich ein Taxi nehmen, inzwischen husche ich mal eben rüber. Mein Therapeut ist kompetent und charmant, kommt also nicht aus Berlin, vielmehr aus der Ukraine, sieht aus wie der Schauspieler Christoph Waltz und ich liebe ihn. In Hollywood, wo Waltz ja mittlerweile lebt, würden sie Grygoriy auch lieben, denn er spricht nicht viel, sondern legt direkt Hand an, und zwar da, wo es wehtut: am Rücken.

Egal, ob man es am Fuß oder am Knie hat, ob Lymphdrainage, Krankengymnastik oder Reizstrom auf dem Rezept steht: Grygoriy massiert den Rücken. Beziehungsweise (ganz ruhig, Krankenkassen!) erst mal den Rücken. Den verschriebenen Rest erledigt er in den letzten Minuten virtuos noch mit, wobei dann meist gar nicht mehr viel zu erledigen ist, weil alles Übel ja am Rücken beginnt oder dort endet.

Grygoriy also macht Rücken, und das auf eine ehrliche und wirksame Weise. Ich bin ihm unendlich dankbar, und auch dem Schicksal, denn eigentlich nimmt Grygoriy nur Privatpatienten, was, wie ich erst dachte, damit zu tun haben muss, dass er so gut ist, aber wohl auch an Zulassungen liegt.

Durch ein Versehen zu meinen Gunsten bin ich auf seine Liste gerutscht. Und vor der Behandlung höre ich ihn manchmal mit besorgter Stimme telefonieren, aber für eine Unterhaltung reichen meine Sprachkenntnisse nicht.

Gestern hatte ich nun leider den letzten Termin, und ich ging extra denselben Weg zurück, um noch einmal den blauen BMW zu kontrollieren, da parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite inzwischen auch ein Auto mit ukrainischem Kennzeichen, ein schwarzer Nissan.

Vielleicht ist Hollywood schuld, aber der russische Wagen kam mir durch diese Nachbarschaft plötzlich interessant vor. Immerhin kein SUV, dachte ich zugewandter, vielmehr ein 350i, ein Modell, das um 1989 erstmals gebaut wurde, könnte das ein Zeichen sein? Vermutlich nicht, aber wie sagte Gregoryi vor Monaten, als er sich erstmals über meinen Knöchel beugte? „Bewegung denken hilft auch bisschen.“

Petra Kohse ist Theaterwissenschaftlerin, Buchautorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.

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