Anstrengende Zeiten

Die Welt hat sich unglaublich schnell verändert. Zum Glück arbeiten viele daran mit, die Herausforderungen zu bewältigen statt die Realität zu verleugnen. Die Kolumne.
Ganz ehrlich? An manchen Tagen kann ich den ganzen Quatsch kaum ertragen. Diese Diskussionen über den Antisemiten Roger Waters, die bissige Hetze gegen Frauen, die sich für Gleichstellung einsetzen, die Querfrontler mit ihrer Sehnsucht nach Unfreiheit, die Friedensbewegten, denen die Ukrainerinnen und Ukrainer wurscht sind, die Israelhasser, die eben nicht diese furchtbare Regierung kritisieren, sondern die iranische Bombe in Kauf nehmen, die Rassistinnen und Rassisten, die jeden Tag Menschen bedrohen oder angreifen. Und dann das Gejammer zum Thema erneuerbare Energien.
Diese Zeit ist so anstrengend! Manchmal ist mein Kopf so voll von all dem Unsinn und dem Geschrei darum– was sollte ich dem noch hinzufügen? Vielleicht einen Rückblick.
Seit Anfang der 1990er Jahre leben wir in einer unfassbar rasanten Zeit. Kein Wunder, dass Menschen verunsichert auf Veränderung reagieren.
Zuerst der Mauerfall. Nicht nur für Deutschland bedeutete dies den kompletten Umbruch. Überall auf der Welt zeigten sich die Folgen des Endes der bisher bekannten Nachkriegsordnung. Allein diese Umgestaltung innerhalb von 30 Jahren mehr oder weniger erfolgreich durchzustehen, finde ich beeindruckend.
Als nächstes kam das Internet. Seitdem wurde die Welt vernetzt. Das änderte die Wirtschaft, das Produzieren und Kommunizieren. Mit den PCs und Smartphones revolutionierte sich auch der Zugang zu Wissen. Und mit den sozialen Netzwerken auch der zur Desinformation.
Parallel entwickelte sich die Globalisierung. Die Industrie produzierte dort, wo die Bedingungen für sie am günstigsten waren, und wanderte in bisher arme Weltregionen ab. Dort brachte die Globalisierung einen gewaltigen Aufstieg der Mittelschichten mit sich. Das Reisen demokratisierte sich. Noch nie zuvor besuchten so viele Menschen andere Länder und Kontinente. Gleichzeitig flohen Millionen vor Armut, Verfolgung, Unruhen und Naturkatastrophen. Der Migrationsdruck stieg weiter an. Auch Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden.
Die Minderheitenrechte entwickelten sich aber auch. Rassismus wurde zum Thema, dann auch Antisemitismus, die Bewegung der LGTBI*-Community ist normaler Teil des Alltags geworden. Sogar um Frauenrechte kommt die Gesellschaft nicht mehr herum, nicht mehr um Missbrauch, Gewalt, Diskriminierung. Das alles liegt auf dem Tisch und ist – wie sollte es anders sein – heftig umkämpft.
Jetzt geht es darum, den Klimawandel zu begrenzen. Und wieder haben die Leute Angst. Um ihr Auto, ihre Hausdächer, ihre Heizung. Russlands Krieg gegen die Ukraine und die entsprechenden Sanktionen verstärken den Unmut. Die Angst vor Veränderung, obwohl sie ganz gut gemeistert wird, ist Turbotreibstoff für Rechte und andere antiwestliche Populistinnen und Populisten.
In Ostdeutschland liegt die AfD bei Umfragen zwischen 25 und 30 Prozent. Angst und Wut schüren, Verharren, infantiler Trotz und die Vorstellung, dass es nur eines politischen Handgriffs bedürfe, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen, das soll die Lösung sein? Was für eine Realitätsverleugnung!
Trotzdem bin ich optimistisch. Wieso? Weil auch bisher so vieles mit Engagement und Vernunft geleistet wurde und so viele an der Bewältigung der großen Herausforderungen mitarbeiten. Trotz des Streits und all des Unsinns. Wir leben eben in einer anstrengenden Zeit. Also: weitermachen. Was sonst?
Anetta Kahane war Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.