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Angela Merkel und die Botanik

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Von: Manfred Niekisch

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Mit einem Großen Zapfenstreich wird Kanzlerin Merkel gegen Ende ihrer Regierungszeit nach 16 Jahren im Bendlerblock verabschiedet.
Mit einem Großen Zapfenstreich wird Kanzlerin Merkel gegen Ende ihrer Regierungszeit nach 16 Jahren im Bendlerblock verabschiedet. © Michael Kappeler/dpa

Mit ihrer Musikauswahl zum Abschied hat die Wagner-Freundin neue Seiten offenbart. Aber was sollen uns Rosen und Sanddorn sagen? Die Kolumne.

Ein Hang der scheidenden Bundeskanzlerin zur Botanik war bisher nicht bekannt. Nach eigenem Bekunden geht sie gern wandern, aber auch in diesem Zusammenhang hörte man kaum etwas zum Thema Flora. Umso beachtenswerter ist es, dass Angela Merkel sich für ihren Großen Zapfenstreich zwei Lieder mit Bezug zu Pflanzen wünschte.

Bei den roten Rosen, von denen beregnet zu werden sich einst Hildegard Knef ersehnte, wird das schon im Titel des Songs deutlich. Im anderen gewünschten Musikstück heißt es zwar gleich in der ersten Textzeile, der Sanddorn stehe hoch auf Hiddensee, doch dominiert nicht er inhaltlich, sondern, vom Refrain gestützt, der vergessene Farbfilm.

Es kann angenommen werden, dass Angela Merkel mit dem Einbau dieses DDR-Schlagers in ihre militärische Abschiedszeremonie eine Reminiszenz an frühere Zeiten setzen wollte. Ist dann der Wunsch nach Beregnung durch rote Rosen ein Sinnbild für die Üppigkeit, in welcher das westliche Deutschland sich tummelte? Nein, das plumpe Wachrütteln vergangener Systemunterschiede passt weder in die Zeit noch zur sachlichen Physikerin.

Es ist schwer, Texte zu finden, in denen gefährdete Arten eine Rolle spielen

Wäre es Angela Merkel darum gegangen, mit ihrer Musikauswahl einen Fingerzeig auf bedrohte Pflanzen zu geben, würde das mit Sanddorn und Rosen nicht wirklich funktionieren.

Es stieße ohnehin auf Schwierigkeiten, Texte zu finden, in denen gefährdete Arten der heimischen Flora eine Rolle spielen. Denn wie sollten Schachblume, Fliegen-Ragwurz oder Wiesen-Küchenschelle in einem eingängigen Musikstück unterzubringen sein? Das volksmusikalisch-deutsch überstrapazierte Edelweiß eignet sich mit seiner alpinen Verbreitung ausschließlich im Reiche des Markus Söder nun keinesfalls für den Festakt zur Verabschiedung der Kanzlerin, Schwesterpartei hin oder her.

Da stellt sich doch die Frage, ob sich aus den Pflanzenbezügen in der Musikauswahl politische Rückschlüsse ziehen lassen. Der Sanddorn ist weit verbreitet in Europa. Hervorzuheben ist sein hoher Gehalt an Vitamin C, was alphabetisch immerhin bestens zu Merkels parteipolitischer Heimat passt.

Rosen stammen ursprünglich aus China

Ob der Sanddorn ansonsten im Kontext des Zapfenstreiches weitergehende Interpretationen zulässt, sei dahingestellt. Er liebt trockenen Untergrund. Wo er vorkommt, sichert er lockere Böden mit seinem Wurzelwerk. Er liebt es karg und seine Beeren finden eine Vielzahl von Verwendungen in der (Volks-)Medizin, als Nahrungsmittel und in Form von schmackhaftem Alkohol. All das lässt sich schwerlich zu politischen Assoziationen heranziehen.

Rosen gab es in vielen Farben und Formen schon im Altertum. Zunächst als teure Duftstoffe und exklusive Delikatessen, dann auch als Zierpflanzen. Dass ihnen mit dem Spruch „Keine Rose ohne Dornen“ bis heute Unrecht widerfährt, tragen sie mit Fassung. Korrekte Botanik-Fans sprechen von Stacheln, nicht Dornen. Solch’ kleinliche Einwürfe sollen die Feierlichkeit des Abends aber nicht stören, wie auch nicht die Tatsache, dass Rosen ursprünglich aus China stammen und von dort ihre weltweite Ausbreitung begannen, wie … , nein, das gehört jetzt gar nicht hierher! Es ist doch prima, dass Wagner-Verehrerin Angela Merkel nach so vielen Jahren als Kanzlerin mit ihren überraschenden Musikwünschen ganz neue Seiten an sich offenbart.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.

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