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Die Ampel muss für ihre Überzeugungen werben

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Von: Stephan Hebel

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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, steht an der Reling des Umspannwerks nach der Inbetriebnahme des RWE-Offshore-Windparks Kaskasi vor Helgoland.
„Reden, fragen, zuhören, sich begeistern lassen und Ängste vor den Veränderungen nehmen“ – so beschrieb der heutige Wirtschaftsminister Robert Habeck (hier beim Besuch einer Windfarm) einst die Aufgaben fortschrittsorientierter Politik. © Christian Charisius/dpa

Eine demokratische Politik, die Veränderung anstrebt, darf das gesellschaftliche Klima nicht ignorieren. Sie darf sich aber auch nicht von vorherrschenden Stimmungen abhängig machen.

Frankfurt -Vor zwei Wochen habe ich mich an dieser Stelle kritisch mit der Klimapolitik der Ampelregierung befasst. Die Überschrift lautete „Die Regierung, die wir verdienen“. Eine sehr geschätzte Kollegin aus der FR-Redaktion hat mich darauf angesprochen. Sie frage sich, erzählte sie, ob da nicht eine Art „Publikumsbeschimpfung“ mitschwinge, etwa nach dem Motto: Wenn die Leute zu doof sind, um die Dringlichkeit einer echten Klimawende zu begreifen, dann haben sie auch keine Regierung verdient, die es besser macht.

Nein, so einfach ist es natürlich nicht. Die Formulierung von der Regierung, die wir verdienen, mag zugespitzt sein, aber dahinter verbirgt sich nichts Geringeres als die Frage nach dem Demokratieverständnis, dem die Regierenden in diesem Land folgen – und das sich weite Teile der Gesellschaft erstaunlich duldsam gefallen lassen.

Der heutige Wirtschaftsminister Robert Habeck hat vor gut zwei Jahren ein Buch herausgebracht: „Von hier an anders“. Der damalige Grünen-Vorsitzende fasste gleich im Vorwort die Aufgaben fortschrittsorientierter Politik treffend zusammen: „Reden, fragen, zuhören, sich begeistern lassen und Ängste vor den Veränderungen nehmen, für die meine Partei wirbt.“

Eine Politik, die sich solchermaßen beeinflussen lässt, ist gefährlich nah am Populismus

Darin stecken zwei fundamentale Aspekte demokratischen Handelns: zum einen das zunächst passive, aber hoffentlich dann auch produktive Aufnehmen dessen, was „die Leute“ umtreibt. Zum anderen aber das Werben für Veränderungen aus eigenen politischen Überzeugungen heraus – verbunden mit dem Versuch, diese Veränderungen demokratisch durchzusetzen, indem die Politik möglichen Ängsten so weit wie möglich den Boden entzieht.

Mit anderen Worten: Demokratische Politik, die Veränderung anstrebt, braucht zweierlei zugleich. Sicher muss sie einerseits die Auffassungen und Stimmungen aufnehmen, die das gesellschaftliche Klima bestimmen. Sie verfehlt aber andererseits ihren Auftrag, das Gemeinwesen zu gestalten, wenn sie sich bei ihren Entscheidungen einfach auf vorherrschende Stimmungslagen beruft. Eine Politik, die so handelt, gerät in gefährliche Nähe zum Populismus: Zu dessen hervorstechenden Eigenschaften gehört es ja, das eigene Handeln (oder dessen Begrenztheit) als quasi zwingende Konsequenz aus dem Denken und Fühlen „der Leute“, „der hart arbeitenden Menschen“ oder – auf der ganz rechten Seite – „des Volkes“ zu verkaufen.

Es ist nicht alternativlos, der Angst vor dem Neuen mit Abstrichen beim Klimaschutz zu begegnen

Noch einmal: Es geht nicht darum, dass Politik Stimmungen und vorherrschende Meinungen, wie sie in der Demoskopie und der medialen Öffentlichkeit wiedergegeben werden, ignorieren sollte. Die Menschen, die eine finanzielle Überforderung durch eine erzwungene energetische Sanierung ihres Hauses befürchten, sind ja nicht durchweg reaktionär oder leugnen den Klimawandel. Es stimmt, dass eine ökologische Politik scheitern müsste, die solche Befürchtungen nicht ernstnimmt. Aber das heißt noch lange nicht, dass es alternativlos wäre, der Angst mit Abstrichen beim Klimaschutz zu begegnen, wie es die Ampel leider tut.

Womit wir wieder beim zweiten Auftrag wären, dem demokratische Politik sich eigentlich zu verschreiben hätte: dem vermeintlich vorherrschenden gesellschaftlichen Klima auch mal ein Handeln aus eigener Überzeugung entgegenzusetzen – und dafür um Zustimmung, um „Hegemonie“ im gesellschaftlichen Diskurs, zu werben.

Ist das undemokratisch? Würde da „gegen die Mehrheit regiert“ oder, so ein besonders beliebter Vorwurf, grün-elitär an den „normalen Leuten“ vorbei? Nein, so muss, so müsste es nicht sein. Im Gegenteil: Der Demokratie wäre es sogar dienlicher, wenn Politik sich wieder stärker dem Begründungszwang für eigene Überzeugungen aussetzte, statt ständig den Finger in den Wind zu halten, damit nur nicht verpasst wird, woher er gerade weht.

Für eine gestaltende und werbende Politik gibt es allerdings einige Risiken, an deren Vermeidung die Gesellschaft „ihre“ Politiker:innen messen könnte.

Erstens: Je stärker die Position von Akteur:innen in der Öffentlichkeit, je privilegierter etwa ihr Zugang zu Medien ist, desto stärker drohen sie zu Teilen eines gefährlichen Mechanismus zu werden. Die Stimmungen, auf die sie sich hinterher berufen, erzeugen sie vorher nicht selten selbst. Wer bestimmte, durchaus vorhandene Reflexe und Ängste ständig öffentlich wiederholt, verstärkt sie auch. Das gilt, leider zu oft, auch für manche Medien.

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FR-Autor Stephan Hebel kommentiert an dieser Stelle alle 14 Tage aktuelle politische Ereignisse. Wenn Sie Kritik, Lob oder Themenhinweise haben, schreiben Sie an stephan.hebel@fr.de. Bitte merken Sie dabei auch an, ob Sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären.

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Live erleben können Sie den Autor bei „Hebels aktueller Stunde“ am Donnerstag, 6. Juli, 19 Uhr, Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5 in Frankfurt, www.club-voltaire.de, Livestream: www.fr.de/hebelsstunde

In Österreich fördert ein Programm die Umstellung auf Fernwärme oder Wärmepumpe sozial gestaffelt

Zweitens, damit zusammenhängend: Politik hat bekanntlich immer mit konkreten Interessen zu tun. Und manchmal verbinden sich Wünsche und Bedürfnisse miteinander, die auf den ersten Blick nicht zusammenzugehören scheinen: Wer mit dem Auto zum Arbeitsplatz pendeln muss und nicht das „Kleingeld“ für ein Elektroauto zur Hand hat, ist aus sehr nachvollziehbaren Gründen daran interessiert, das alte Fahrzeug weiter zu nutzen. Aber er oder sie kann sich ungewollt an der Seite derjenigen wiederfinden, die von der großen Zukunft der „E-Fuels“ fantasieren, um diesem oder jenem Konzern noch möglichst lang Profite mit Verbrennungsmotoren zu ermöglichen.

Drittens: Diesem Missbrauch persönlicher Lebenslagen zugunsten mächtiger ökonomischer Interessen könnte Politik durchaus etwas entgegensetzen. Die Angst vor politisch erzwungener Umstellung der eigenen Lebensweise dürfte niemandem fremd sein, und dumm ist sie schon gar nicht. Aber es gäbe Alternativen zu einer Politik, die die Ängste erst verstärkt und sich ihnen dann beugt. Sie müsste die vorhandenen Befürchtungen nicht ignorieren, sondern sogar ernster nehmen, als sie es jetzt tut. Das hieße, genau zu schauen, wie eine Politik der Veränderung mit den Wünschen und Bedürfnissen der Gesellschaft in Einklang zu bringen wäre.

Um beim Beispiel der Heizungen zu bleiben: Wer Umbauten verfügt, ohne den weniger Begüterten konkret Unterstützung anzubieten, setzt die Chance auf einen gesellschaftlichen Konsens leichtfertig bis mutwillig aufs Spiel. Im schwarz-grün regierten Österreich gibt es ein Programm „Sauber Heizen für alle“, das die Umstellung auf Fernwärme oder Wärmepumpe sozial gestaffelt fördert – für die unteren 20 Prozent der Einkommensskala mit bis zu 100 Prozent. Warum gibt es in Deutschland keine laute Bewegung, die Ähnliches fordert? Liegt es vielleicht doch daran, dass wir die Regierung verdienen, die wir haben? (Stephan Hebel)

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