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Japans Nuklear-Irrweg

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Demonstration vor der japanischen Botschaft in Seoul (Südkorea).
Demonstration Mitte April vor der japanischen Botschaft in Seoul (Südkorea). © Xu Ruxi/dpa

Die Regierung in Tokio erklärt Atomkraft zur Staatspflicht. Dabei sind die Probleme ungelöst. Immerhin verwehren die G7 diesem Weg ihren Segen, schreiben die Politikwissenschaftlerin Lila Okamura und ihr Kollege Achim Brunnengräber.

Japan wollte von den G7 die Zustimmung dafür, radioaktiv verseuchtes Wasser aus dem 2011 havarierten Atomkraftwerk Fukushima ins Meer zu leiten. Die sieben Industrieländer haben bei ihrem Treffen Mitte April 2023 im japanischen Sapporo ihren Segen zu diesem Vorhaben verwehrt.

Die japanische Regierung wollte damit nicht nur geopolitischen Spannungen vorbeugen, sie wollte zugleich – wenn auch indirekt – für die Laufzeitverlängerung der japanischen Atomkraftwerke (AKW) und die geplanten Neubauprojekte Anerkennung auf internationalem Parkett.

Japan erklärt deshalb auch regelmäßig, dass man in der Präfektur Fukushima alles im Griff habe. Diese Behauptung ist und bleibt falsch. Zu eklatant und offensichtlich sind die Probleme, mit denen Japan noch Jahrzehnte zu tun haben wird. Drei davon sind von besonderer Brisanz:

1. Stilllegung der Reaktoren: In den havarierten Reaktoren 1-3 des AKWs Daiichi befanden sich mehr als 1500 hoch radioaktive Brennstäbe. Am 28. Februar 2021 wurden die letzten sechs der 566 Brennstäbe aus dem Reaktorblock 3 entfernt. Im Reaktorblock 1 blieben aber noch 392 und im Block 2 noch 615 Brennstäbe. In zehn Jahren wurde also nur rund ein Drittel der Brennstäbe geborgen.

Zu den Brennstäben kommen etwa 900 Tonnen geschmolzener atomarer Brennstoff. Es fehlen aber wichtige Details über den Zustand der Kernschmelze in der Anlage. Solche Informationen sind aber die Voraussetzung dafür, um die notwendigen Technologien für die Entfernung der restlichen Brennstäbe und aller Trümmer entwickeln zu können.

Dessen ungeachtet sollen Zeitpläne Planungssicherheit vermitteln. Die Regierung und das Energieversorgungsunternehmen Tepco hatten bereits im Dezember 2011 einen mittel- und einen langfristigen „Stilllegungsplan“ formuliert. Demnach sollten die Folgen der Havarie bis spätestens 2051 beseitigt sein.

Die Regierung hat ihre „Roadmap“ aber im Jahre 2019 schon zum fünften Mal überarbeitet. Ende Dezember 2020 musste sie eingestehen, dass auch die angekündigte Startzeit für die Entfernung der restlichen Brennstäbe verschoben werden muss.

2. Kontaminiertes Wasser: Täglich dringen mehr als 100 Kubikmeter Grundwasser in das Reaktorinnere, das so radioaktiv verseucht wird. Tepco hat deshalb eine sogenannte Eiswand gebaut, die 2017 fertig gestellt wurde und das Grundwasser am Eindringen hindern soll. Diese Anlage, die den Boden um das Kraftwerk gefrieren lässt, konnte den Zufluss aber nicht gänzlich stoppen. Zur Lagerung des abgepumpten Wassers wurden 1000 massive Tanks auf dem Gelände des AKWs aufgestellt. Deren Gesamtkapazität von 1,32 Millionen Kubikmeter ist bereits zu 96 Prozent ausgeschöpft. Deshalb will die Regierung über Jahrzehnte hinweg mehr als eine Million Tonnen aufbereitetes Wasser ins Meer leiten, obwohl es hohe Mengen Tritium enthält. Das Ökosystem des Pazifiks würde folglich durch verstrahltes Wasser belastet, ohne dass die Konsequenzen genau bestimmt werden können.

Die Internationale Atomenergiebehörde billigt im Gegensatz zur G7 die Einleitung des AKW-Wassers. Im Fischereisektor, der massive Absatzprobleme befürchtet, stößt sie hingegen auf Ablehnung. Nach dem Reaktorunfall beträgt dessen Wirtschaftskraft nur noch 14 Prozent des Niveaus von vor der Katastrophe.

Die Nachbarländer Südkorea und China kritisieren das Vorgehen der japanischen Regierung bereits seit längerem. Die Verklappung könnte zu neuen Exportbeschränkungen und Einbußen führen.

3. Dekontamination der Region: 17 Millionen Tonnen kontaminierter Boden und andere Stoffe sind laut Greenpeace bisher angefallen. Sie werden in Müllsäcken abgestellt und sollen in ein Zwischenlager gebracht werden, das es noch nicht gibt. Auch ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle ist – wie weltweit – noch nicht in Betrieb; vielmehr stockt schon die Suche nach einem Standort dafür.

Dessen ungeachtet hat die japanische Regierung Ende 2022 entschieden, dass AKWs bis zu 70 Jahre am Netz bleiben können und neue gebaut werden sollen. Im Februar 2023 hat das Kabinett deshalb eine Änderung des Atomgesetzes beschlossen. Atomkraft wird darin erstmalig als „Verpflichtung des Staates“ bezeichnet.

Ein erneuter Super-GAU wird ausgeschlossen. Auch nach Tschernobyl, das 1986 nicht hätte passieren dürfen, dem AKW in Saporischschja in der Ukraine, das nicht hätte zum Angriffsziel werden dürfen, und nach Fukushima folgt Japan dem „Prinzip Hoffnung“. Anders lassen sich die Pro-Atomkraft-Entscheidungen der japanischen Regierung nicht erklären.

Lila Okamura ist Politologin und unterrichtet Umweltpolitik an der Senshu Universität in Tokio.

Achim Brunnengräber ist Politologe und forscht an der FU Berlin.

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