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Razzia gegen „Letzte Generation“: Gezielte Eskalation

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Von: Pitt von Bebenburg

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Polizei und Staatsanwaltschaft haben im Zuge eines Ermittlungsverfahrens zu Mitgliedern der Letzten Generation 15 Objekte in sieben Bundesländern durchsucht.
Polizei und Staatsanwaltschaft haben im Zuge eines Ermittlungsverfahrens zu Mitgliedern der Letzten Generation 15 Objekte in sieben Bundesländern durchsucht. © Christoph Soeder/dpa

Die Razzia gegen die „Letzte Generation“ wurde politisch vorbereitet. Sie kann fatale Folgen haben. Der Leitartikel.

Bilder wie bei einem Antiterroreinsatz gingen am Mittwoch durch das Land. In einer bundesweiten Razzia waren Polizistinnen und Polizisten mit Sturmhauben und in voller Montur ausgerückt, geschickt von der bayerischen Generalstaatsanwaltschaft und der „Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus“. Als wären dieses Land und sein politisches System durch Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten gefährdet. Der Vorwurf lautet Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Dabei ging es nicht um Drogenkriminelle, Menschenhändler oder Waffenschmuggler, sondern um die Protestgruppe der „Letzten Generation“. Man muss es ganz klar sagen: Wer eine angespannte Stimmung im Land eskalieren lassen will, muss es so machen, wie Polizei und Justiz in Bayern es in diesem Fall getan haben. Dafür hatten sie zweifellos politische Rückendeckung.

CSU-Politiker setzen „Letzte Generation“-Aktivist:innen dem Mob aus

Seit Monaten haben insbesondere Politiker der CSU auf diesen Moment hingearbeitet, nicht zuletzt „Deutschlands härtester Innenminister“ („Bild“-Zeitung) Joachim Herrmann sowie die Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer („Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg!“) und Alexander Dobrindt mit seiner Warnung vor einer „Klima-RAF“.

Das war ein ungeheuerlicher Vergleich von friedlich Demonstrierenden mit einer Mörderbande. Solche Politiker setzen Aktivistinnen und Aktivisten dem Mob aus. Das muss tabu sein, selbst wenn in Bayern der Landtagswahlkampf begonnen hat.

Der „Letzte Generation“-Aktivist Simon Lachner hat in dieser Woche berichtet, wie ihn jüngst bei einer Blockadeaktion das Auto eines ungeduldigen Fahrers erfasst habe und er nur mit Glück sein Bein habe retten können. In dieser aufgeheizten Atmosphäre droht tatsächlich eine Radikalisierung – und zwar eine Radikalisierung derjenigen, welche die „Letzte Generation“ als Feindinnen und Feinde ausgemacht haben. Hier wächst eine reale Gefahr, dass Betroffene das in die eigene Hand nehmen, was sie für ihr Recht halten. Demonstrationen sind jedoch geschützt. Betroffene müssen hinnehmen, dass ihr Alltag dadurch zuweilen gestört wird.

Die Gruppe überschreitet Grenzen in ihren Aktionsformen. Dagegen ist sie in ihren Kernforderungen wenig radikal. Sie verlangt politisch leicht umsetzbare Schritte, die von einer Mehrheit der Menschen in Deutschland geteilt werden, wie ein Tempolimit auf den Autobahnen und die Wiedereinführung eines Neun-Euro-Tickets. Und sie macht darauf aufmerksam, dass die Bundesregierung keineswegs den Anforderungen gerecht wird, die das Bundesverfassungsgericht ihr aufgetragen hat: die natürlichen Lebensgrundlagen der kommenden Generationen zu erhalten.

Der Streit über das Heizungsgesetz ist ein Exempel dafür, wie man es nicht machen sollte. Statt die Erarbeitung und Verabschiedung zu verzögern, wie die FDP das tut, muss das Gebäudeenergiegesetz schnell um die notwendige soziale Abfederung ergänzt werden. Wenn sich im Gebäudebereich nichts tut und auch nicht im Verkehr, dann wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen können. Das zeigt, wie wichtig Druck von Aktivistinnen und Aktivisten ist.

Politische Absicht der Razzia gegen die „Letzte Generation“

Die politische Absicht hinter einer Razzia wie jetzt ist erkennbar, Menschen davon abzuhalten, sich dieser Art des Klimaprotests anzuschließen oder sie auch nur zu unterstützen. Mit dem juristischen Kniff der „kriminellen Vereinigung“ wird der Kreis der potenziell Betroffenen erheblich ausgeweitet. Das schreckt ab.

Die Demonstrationen und Blockaden der „Letzten Generation“ mögen nerven. Viele halten sie für kontraproduktiv, weil niemand sich für Klimaschutz begeistern lässt, der am Weiterfahren gehindert wird. Dabei sollten sich Autofahrerinnen und Autofahrer klarmachen, dass Stau meistens mehr mit dieser automobilen Gesellschaft zu tun hat als mit Protesten.

Soll Umweltprotesten die Legitimation entzogen werden?

Die Frage, wie weit Demonstrierende gehen dürfen, ist unter Juristinnen und Juristen höchst umstritten, auch unter Richterinnen und Richtern, die unterschiedlich urteilen. Das ist nicht verwunderlich, immerhin stehen hier Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Kontrast zur durch die Aktionen beschränkten Bewegungsfreiheit.

Natürlich muss der von den bayerischen Behörden geäußerte Verdacht geklärt werden, ob zwei radikalisierte Mitglieder der „Letzten Generation“ versucht haben, eine Pipeline zu beschädigen. Das wäre eine inakzeptable Straftat. Doch die Frage ist auch, ob hier in einer Weise kommuniziert wird, die dem Umweltprotest die Legitimation entziehen soll. Die Unverhältnismäßigkeit dieser überzogenen Razzia lässt kaum einen anderen Schluss zu.

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