Gerechtfertigter Streik

Die Eisenbahnergewerkschaft EVG streikt an einem Montagmorgen und in der Bevölkerung kippt die Solidarität. Dabei hat die Bahn den Streik verursacht und ist auch für die Folgen verantwortlich. Ein Kommentar.
Die Bahnen fallen aus und der Blutdruck steigt. Natürlich kann man kritisieren, dass die EVG den Warnstreik für ihre 160.000 Beschäftigten erst am Samstag angekündigt hat, an dem Tag, als die Tarifparteien in Hannover ohne Ergebnis auseinander gegangen waren. Viele Pendler waren am Montagmorgen folglich überrascht davon, dass ihr Zug tatsächlich nicht fuhr. Dreist sei so etwas, hört man allerorten. Dreist und unverschämt sei die Maßnahme der EVG, für eine solche Aktion ausgerechnet den Montag anzusetzen.
Nein, es ist nicht dreist, den durch Inflation verursachten Reallohnverlust der vergangenen Tarifrunden ausgleichen zu wollen. Dreist ist es zu fordern, man möge doch gefälligst nicht am Montagmorgen streiken, also dann, wenn man selbst die Bahn braucht, um pünktlich am Arbeitsplatz zu sein. Dafür könne man doch bitte auch das Wochenende nutzen. Ein Wochenende, das es für viele der jetzt Streikenden in dieser Form übrigens nicht gibt. Sie alle arbeiten potentiell rund um die Uhr in dem Unternehmen, das nach den Wünschen der Politiker das Verkehrsmittel der Zukunft sein soll. Dann haben sie auch ein Anrecht darauf, anständig bezahlt werden.
Das Image der Bahn leidet zurecht
Den Angestellten der EVG sollten keine Vorwürfe gemacht, sondern vielmehr Solidarität entgegengebracht werden. Wären in der Vergangenheit die Löhne und Gehälter bei der Bahn auch nur annähernd analog zu den Fahrpreisen gestiegen, hätte es diesen Streik wohl kaum gegeben. Und die Pendler hätten sich nicht ereifert, wenn sie ausnahmsweise mal nicht wegen der üblichen technischen Probleme zu spät am Arbeitsplatz erscheinen, sondern wegen etwas, wofür man durchaus mal für ein paar Stunden für etwas Lohnendes aus der eigenen Komfortzone heraus kann.
Das Image der Bahn leidet unter diesem Streik natürlich schon – allerdings keinesfalls mehr, als durch die täglichen Verspätungen und Ausfälle, an die sich diejenigen, die täglich mit der Bahn zur Arbeit fahren, längst gewöhnt haben. Diese Probleme haben übrigens weniger die Streikenden zu verantworten als vielmehr deren Bosse. Das Image-Problem hat die Bahn folglich nicht der EVG zu verdanken, sondern sich selbst.