Wie die Agrarlobby den Krieg missbraucht

Statt den Schutz der Umwelt aufzuweichen, müssen wir unsere landwirtschaftliche Fläche effizienter bewirtschaften. Ein Gastbeitrag von Chris Methmann.
Kaum hatte der Angriff Russlands auf die Ukraine begonnen, meldeten sich die Lobbyisten der Agrarindustrie zu Wort. Öffentlich schürten sie Angst vor Nahrungsmittelknappheit. Außerdem forderten sie in Brüssel, Umwelt- und Klimaschutzauflagen für die Landwirtschaft auszusetzen. Mit Erfolg: Die EU legt ihre Pläne beiseite, den Einsatz von Ackergiften zu reduzieren. Artenschutzflächen gibt sie wieder für den Futtermittelanbau frei.
Auf den ersten Blick klingen die Forderungen von Bauernverband und Co. plausibel. Es stimmt ja: Die Ukraine und Russland versorgen die Welt mit viel Getreide und Ölsaaten. Aufgrund des Kriegs kann die Ukraine aber weder säen noch ernten. Russland hat seine Exporte gestoppt. Das Schwarze Meer fällt als Seeweg für Getreidetransporte aus. Expertinnen und Experten prophezeien Hunger, gerade in Ländern Nordafrikas wie Ägypten, Jemen oder dem Libanon. Einige dieser krisengebeutelten Staaten backen jedes zweite Brot mit Weizen aus Russland oder der Ukraine.
Doch wenn die Agrarlobby gegen Umwelt- und Klimaschutz wettert, um Europas Erträge zu erhöhen und damit angeblich den Hunger zu bekämpfen, dann ist das vor allem eines: ein ziemlich schamloses Lobbymanöver. Denn es geht vor allem um eigene Profitinteressen.
Die Agrarindustrie in der EU hat sich darauf spezialisiert, Fleisch zu produzieren und zu exportieren. Dafür braucht sie Massen günstiger Futtermittel. 60 Prozent der Anbauflächen in Deutschland füllen nicht etwa die Teller der Menschen, sondern die Tröge in den Ställen. Dazu kommen Berge von Soja, Palmöl und anderen Futtermitteln, die wir importieren. Darunter auch Ölsaaten und Getreide aus der Ukraine, Russland oder Kasachstan. Die werden jetzt knapp.
Deutschland produziert und exportiert also nicht etwa Getreide für die Hungernden der Welt – sondern vor allem Fleisch- und Milchprodukte. Wer aber mit noch mehr Fleisch den Hunger bekämpfen will, handelt höchst ineffizient. Eine Kalorie Fleisch kostet selbst im besten Fall noch neun Kalorien pflanzliche Nahrung, oft ein Vielfaches davon. Die Tiermast ist ein Irrweg im Kampf gegen Mangelernährung.
Zur Person
Chris Methmann leitet als Geschäftsführer das Team von „foodwatch Deutschland“.
Es stimmt: Nahrungsmittel werden weltweit knapp. Aber wir haben nicht zu wenig Ackerboden – wir nutzen ihn nur falsch. Anstatt Klima- und Umweltschutzauflagen zu rasieren, müssen wir anfangen, unsere verfügbare landwirtschaftliche Fläche anders zu bewirtschaften. Das muss die Ampelkoalition jetzt anpacken! Der Verweis darauf, dass die EU für Landwirtschaft zuständig ist, zählt nicht. Zum einen hat Deutschland Gewicht in Brüssel. Zum anderen kann die Bundesregierung hierzulande konkrete Schritte umsetzen.
Wir müssen die Zahl der Nutztiere in Deutschland und den anderen EU-Staaten massiv reduzieren. Auf Ackerflächen, die heute noch Tierfutter produzieren, könnten Lebensmittel wachsen. Ganz konkret sollte die Ampel in einem ersten Schritt die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse streichen, tierische Produkte hingegen mit dem normalen Satz von 19 Prozent besteuern. Das würde den Anreiz zur Fleischproduktion senken und gleichzeitig Haushalte entlasten, die unter der Inflation im Supermarkt ächzen – und wäre sofort umsetzbar.
Außerdem müssen wir den Irrsinn mit dem Biosprit stoppen. In Deutschland wachsen auf 460 000 Hektar Energiepflanzen wie Raps oder Mais, die als Agrokraftstoffe an unseren Tankstellen landen – eineinhalb mal die Größe des Saarlands. Würde die Ampel diese ineffiziente Biokraftstoffbeimischung aussetzen, wäre die Fläche frei für Nahrungsmittel.
Und drittens müssen wir die Lebensmittelverschwendung begrenzen. Allein deutsche Bäckereien entsorgen laut der Umweltorganisation WWF teilweise jede fünfte Backware. In ihnen steckt Getreide von weiteren 400 000 Hektar Ackerfläche. Bislang können Backwarenunternehmen diese Verluste sogar von der Steuer absetzen.
Weniger Nutztiere, weniger Biosprit, weniger Lebensmittelverschwendung: Gegen Nahrungsmittelknappheit gibt es genug Optionen – ganz ohne den dringend nötigen Umwelt- und Artenschutz zu rasieren. Setzt sich hingegen die Agrarindustrie mit ihren Forderungen durch, wäre das noch aus einem anderen Grunde fatal.
Unsere hochintensive, wenig nachhaltige Landwirtschaft hängt am massiven Einsatz von Kunstdünger – der zu großen Teilen aus Russland und Belarus kommt. Dass er jetzt kaum zu ersetzen ist, bereitet vielen Landwirtinnen und Landwirten Sorgen. Und legt einmal mehr offen, wie abhängig wir von Putins Einfluss sind.
Viele reden davon, sich mit der Energiewende unabhängig von russischem Erdgas und Erdöl zu machen. Wer frei sein will von Putins Einfluss, muss mit aller Macht die Agrarwende vorantreiben.