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Werkzeug des Kreml

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Der Generaldirektor der staatlichen russischen Atomenergiebehörde Rosatom, Alexej Lichatschow (links), und der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi (rechts), während eines Treffens in Moskau am 22. Dezember 2022. Bei dem Treffen ging es um die Situation im AKW Saporischschja.
Der Generaldirektor der staatlichen russischen Atomenergiebehörde Rosatom, Alexej Lichatschow (links), und der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi (rechts), während eines Treffens in Moskau am 22. Dezember 2022. Bei dem Treffen ging es um die Situation im AKW Saporischschja. © Alexev Savransky/afp

Der russische Atomgigant Rosatom ist in den Angriffskrieg in der Ukraine verwickelt. Dennoch liefert Siemens Energy Leittechnik für Reaktoren an das Unternehmen. Der Gastbeitrag.

Trotz des barbarischen Vernichtungskrieges Russlands gegen die Ukraine macht Siemens Energy im Konsortium mit der französischen Framatome weiter Geschäfte mit Rosatom. Kein anderes Unternehmen baut aktuell weltweit mehr neue Atomreaktoren als die russische „Nuklearkrake“, die ungefähr 350 Tochterunternehmen umfasst und direkt Präsident Putin unterstellt ist. Dies hat seinen Grund: Rosatom ist ein wichtiger Hebel für Russlands geopolitische Ambitionen.

Möglichst viele Länder sollen durch russische Atomkraftwerke – noch dazu finanziert durch russische Kredite – in eine Abhängigkeit von Russland getrieben werden. Alles aus einer Hand und für Jahrzehnte festgezurrt: Finanzierung, Bau, Betrieb, Brennstoffversorgung, Abfallentsorgung. Der perfekte Weg, um sich politischen Einfluss zu sichern.

Bestes Beispiel: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat allen Gedankenspielen der Europäischen Union um eine Sanktionierung des Nuklearbereichs nicht nur aufgrund seiner fragwürdigen Nähe zu Moskau eine kategorische Absage erteilt. Zu groß ist Orbáns Angst, der von Russland finanzierte Rosatom-Meiler Paks II könnte nicht zu Ende gebaut werden!

Jedoch ist Rosatom beim Bau von AKW auf westliches Knowhow angewiesen, und hier kommt Siemens Energy ins Spiel. Nicht erst für die Reaktoren der neuesten Baureihe WWER 1200 greift Rosatom auf Leittechnik von Siemens Energy/Framatome zurück. Das sogenannte I & C-System (Instrumentation & Control) bildet praktisch das Gehirn eines Reaktors. Für die WWER 1200-Prototypen in Russland und für Paks II ist das Siemens-System „Teleperm XS“ das Mittel der Wahl. Schwer vorstellbar, dass Rosatom bei anderen neuen Reaktorprojekten plötzlich ein alternatives I&C-System aus dem Hut zaubert. Der technische Aufwand, ein solches einzusetzen, wäre – falls überhaupt derzeit möglich – immens.

Doch Rosatom dient nicht nur Putins geopolitischen Interessen, sondern ist auch direkt in Kriegshandlungen in der Ukraine verstrickt. Rosatom-Mitarbeiter haben eine wichtige Rolle bei der Besetzung des AKW Saporischschja, des größten Atomkraftwerks Europas, gespielt. Augenzeugen berichten, dass Rosatom-Mitarbeiter seit Beginn der Besetzung vor Ort sind, von den Folterungen ukrainischer Arbeiter wissen und bei der Auswahl von Zielen rund um das AKW-Gelände für den Artilleriebeschuss geholfen haben. Für den Diebstahl des AKW Saporischschja gründete Rosatom eigens die Tochtergesellschaft JSC „Operating Organization of Zaporizhzhia NPP“.

Der langjährige Rosatom-CEO und heutige Aufsichtsratsvorsitzende, Sergei Kirienko, ist gleichzeitig auch stellvertretender Leiter der russischen Präsidialverwaltung. Er ist Putins Mann für die besetzten Gebiete in der Ukraine. Kirienko ist seit der Vergiftung Nawalnys mit Sanktionen der EU, des Vereinigten Königreichs und der USA belegt.

Das Münchener Unternehmen Siemens Energy als williger Helfer für Putins geopolitische Pläne? Bei genauerem Hinsehen kann es im Zusammenhang mit Rosatom eigentlich kein „Weiter so“ geben. Aber während Russland täglich in der Ukraine mordet, vernichtet und Kriegsverbrechen begeht, hält Siemens Energy im Fall von Paks II scheinbar nur eine fehlende Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Ausfuhr und Wirtschaftskontrolle (Bafa) davon ab, Rosatom die benötigten Teile nach Ungarn zu schicken. So jedenfalls geht es aus einer schriftlichen Antwort des Unternehmens vom 25. Januar auf einen Gegenantrag der Kritischen Aktionäre zur morgigen Hauptversammlung von Siemens Energy hervor.

Wird sich Siemens Energy auf bestehende Verträge berufen und einfach weiter Geschäfte mit Rosatom machen? Oder das unselige Argument heranziehen, dass andere Lieferanten in die Bresche springen würden?

Im Fall des I&C-Systems für neue Rosatom-Reaktoren dürfte diese Begründung nicht greifen. Hier gibt es keine wirklichen Alternativen. Ein Lieferstopp durch Siemens Energy/Framatome wäre ein sehr effektives Mittel, um den geopolitischen Plänen Russlands im Nuklearbereich einen heftigen Dämpfer zu verpassen. Siemens Energy muss entscheiden, ob wirtschaftliche Interessen eine aktive Unterstützung von Putins Terrorpolitik rechtfertigen oder nicht.

Vladimir Slivyak, Gründer der russischen NGO „Ecodefense“ und Träger des Alternativen Nobelpreises

Sebastian Rötters, Energie-Kampaigner der deutschen NGO „Urgewald“

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