1. Startseite
  2. Meinung
  3. Gastbeiträge

Verschmutzungskrise konsequent begegnen

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Sogenannte Ewigkeitschemikalien können auch in Kläranlagen nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand entfernt werden.
Kläranlage in Berlin: Sogenannte Ewigkeitschemikalien können nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand entfernt werden. © Corinna Schwanhold/dpa

Die EU wird 2050 nur dann schadstofffrei sein, wenn Brüssel jetzt richtig investiert.

Die planetare Belastungsgrenze für Schadstoffe ist seit dem vergangenen Jahr überschritten. Die Verschmutzungskrise ist, den Vereinten Nationen zufolge, wie die Klima- und Biodiversitätskrise, ein Notfall für Umwelt und Gesundheit, der sofortiges Handeln verlangt. Die drei großen Krisen lassen sich nicht nacheinander bearbeiten. Auch und gerade in schwierigen Zeiten können Lösungen in keinem Bereich warten.

Zahlreiche Krankheiten stehen mit der Exposition gegenüber gefährlichen Stoffen in Zusammenhang. Am stärksten gefährdet sind vulnerable Gruppen, vor allem Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Von den Folgen der Verschmutzung durch Plastik und Schadstoffe werden – häufig im Globalen Süden – oft diejenigen am härtesten getroffen, die am wenigsten für sie verantwortlich sind. Die Schadstoffkrise berührt daher auch die Fragen der globalen Gerechtigkeit.

Das jüngste Beispiel für besorgniserregende Kontaminationen mit gefährlichen Stoffen ist die großflächige Verschmutzung mit per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (Pfas), den sogenannten Ewigkeitschemikalien.

Pfas stellen eine große Gefahr für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt dar. Sie können in unsere Hormonsysteme eingreifen und zu Krankheiten wie Fruchtbarkeitsstörungen, Adipositas, Diabetes oder Schilddrüsenerkrankungen führen, Leber- und Niere schädigen und das Risiko für Krebs erhöhen.

Ewigkeitschemikalien heißen sie, weil sie ohne anthropogene Einträge nicht in der Natur vorkommen würden und, einmal in die Umwelt gelangt, nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand entfernt werden können. Sie belasten viele Generationen.

Biomonitoringstudien zeigen, dass einzelne Pfas im Blut von Kindern und Jugendlichen in Werten vorkommen, die die Warnschwelle überschreiten. Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Wie groß die Belastungen sind, lässt sich nicht sagen, da für den größten Teil der über 10 000 Pfas keine Nachweismethoden existieren.

Die europäische Chemikalienagentur prüft eine Beschränkung der ganzen Pfas-Stoffgruppe. Dies ist der richtige Weg. Damit würde der Ersatz einer verbotenen Pfas durch ein anderes Mitglied der Pfas-Gruppe unterbunden. In Alltagsprodukten wie Spielzeug, Kleidung, Kochgeschirr, Zahnseide oder Kosmetik haben Pfas nichts zu suchen. Nur in den Bereichen, in denen sie essenziell sind für das Funktionieren unserer Gesellschaft, sollten sie zunächst erlaubt bleiben, solange es noch keine Alternativen gibt.

Programme wie der europäische Green Deal helfen, um aus dem wirtschaftlichen Einbruch nach der Corona- und der Ukrainekrise herauszuwachsen. Bei Dekarbonisierung und Detoxifizierung der Grundstoffindustrie ist die Innovationskraft der Märkte sehr wichtig. Wo die Märkte allerdings in die falsche Richtung laufen, stehen exorbitante Umwelt- und Gesundheitsschäden sowie hohe Kosten, die von der Allgemeinheit getragen werden müssen.

Politisch muss daher der richtige Rahmen gesetzt werden. Wenn wir Voraussetzungen für einen Markt für sichere und saubere Grundstoffe schaffen, sichern wir unsere langfristige internationale Wettbewerbsfähigkeit und schützen zugleich Umwelt und Gesundheit.

Ein Markt für nachhaltige und sichere Grundstoffe und eine schadstofffreie Kreislaufwirtschaft sind Bestandteile bei der Bewältigung der Dreifachkrise (Klima, Verschmutzung, Artensterben). Daher sind auch eine zügige Reform der europäischen Chemikalienverordnung Reach und die Umsetzung der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit gerade jetzt so wichtig.

Wenn das Null-Schadstoff-Ziel der EU bis 2050 erreicht werden soll, muss es sich für diejenigen Herstellerinnen und Hersteller besonders lohnen, die sichere und nachhaltige Innovationen vorantreiben. Was geschieht, wenn wir Innovationen verschlafen, haben wir bei der verpassten Energiewende in den Zehnerjahren gesehen. Schlüsselindustrien, wie die Wind- und Solarindustrie, sind abgewandert. Mittel- bis langfristig ist das der teuerste Weg und verschärft fatale Abhängigkeiten.

Es ist Zeit, um grüne Innovationen zu fördern und Planungs- sowie Rechtssicherheit für die Produzentinnen und Produzenten zu schaffen, die sicher und nachhaltig produzieren möchten. Das ist im Interesse unserer Gesundheit, der Umwelt und vor allem unserer Kinder.

Armin Grau ist Grünen-Bundestagsabgeordneter und für die Fraktion im Gesundheits- und Umweltausschuss.

Tim Ullrich arbeitet in Graus Büro mit den Schwerpunkten Planetary Health/Umwelt und Gesundheit.

Auch interessant

Kommentare